Die Zerstörung der Arbeit

Wenn ich in einem gewöhnlichen Small-Talk gefragt werde, was ich denn eigentlich so mache, und ich in etwa antworte „ach, viel lesen, schreiben, laufen, reisen, diskutieren, mit Freunden abhängen und ab und zu Steine auf Bullenkarren oder andere Autoritäten werfen, die mein Leben kontrollieren wollen… “, ernte ich meist irritierte Blicke. Warum? Weil die meisten Menschen in ihrem Leben eigentlich nur eins tun: Arbeiten. Und da diese Arbeit in der Regel auch den größten Raum in ihrem Leben einnimmt, reden sie nur über Arbeit, identifizieren sich mit ihrer Arbeit und verschwenden wohl kaum einen Gedanken daran, warum sie eigentlich arbeiten. Als Teil dieser Gesellschaft hat man nun mal seinen Beitrag zu leisten, wer nicht arbeitet, lebt ja auf die Kosten anderer und ist ein Schmarotzer, ein Parasit. Somit ist es vielmehr eine Moral als vor unseren Augen existierende Notwendigkeiten, die einen zur Arbeit zwingen. Wir leben um zu arbeiten und arbeiten um zu leben – ein Leben jenseits von Schuften und Karriere scheint unvorstellbar. Aber diese Arbeitsmoral ist kein Prinzip der Natur, sondern eine Erfindung des Menschen:

In fast allen Sprachen lässt sich der Wortstamm des Wortes Arbeit auf Mühsal, Plage, Not, Beschwerde, Leid, Qual zurückverfolgen. Auch die alten Griechen unterscheiden begrifflich zwischen Arbeiten (poiesis), eine Tätigkeit mit anderem Zweck, also beispielsweise der Herstellung von etwas, und Handeln (praxis), also einer Tätigkeit, die den Zweck in sich selbst trägt. Für die adligen Herrschaftsstrukturen in der griechischen wie der römischen Antike ist Arbeit etwas strikt verachtetes, die niedrigste Tätigkeit, die man Knechten, Sklaven und im Krieg bezwungenen Feinden überließ. Die Bibel hingegen fasst historisch zum ersten mal Arbeit generell als Notwendigkeit für jeden auf, als einen Auftrag Gottes an den Menschen um sich die Erde Untertan zu machen. Ganz im Gegensatz zu der griechisch-römischen Tugend der „Muße“ (heutzutage chillen genannt) legt die Bibel Faulheit als Sünde aus und verkündet: „wenn jemand nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.“ Mit Luther erfährt die Arbeit ihren heutigen, nahezu religiösen Charakter und der Durchbruch zur Moral getränkten(,) modernen Auffassung von Arbeit wird vollzogen: Luther übersetzt „Beruf“ mit „Berufung“ und meint, dass, insofern eine Arbeit im Glauben an Gott verrichtet wird, diese Gott gefällt und ein Gottesdienst ist. Damit entspricht Arbeit immer und unter allen Umständen dem göttlichen Willen. Im Laufe der Jahrhunderte verfestigt sich die Ansicht, dass Reichtum nicht durch die Natur gegeben wird, sondern von Arbeit geschaffen wird und in Folge einer Vielzahl von wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen wächst die Auffassung, dass die Herrschaft des Menschen über die Natur nicht abgeschlossen, sondern ein offener Prozess ist. Somit wird Eigentum fortan auch nicht mehr durch Vereinbarungen oder Verträge begründet, sondern durch Arbeit.

Mit der sogenannten „industriellen Revolution“ vollführte das Bürgertum einen entscheidenden Schritt, um die Arbeitswelt nicht unbedingt effizienter, sonder in erster Linie kontrollierbarer und einfacher zu verwalten und zu beherrschen machte. Während die arbeitende Klasse bis da hin vergleichsweise unabhängig, unregelmäßig und abwechslungsreich in heimischen Werkstätten ackern musste, wurde sie nun in die nach dem Abbild von Gefängnissen errichteten Fabriken gesteckt, um verstümmelte, spezialisierte und entwürdigende Routinearbeit zu verrichten. In Mitten all des um sich greifenden Elends, der Armut und des Hungers beginnen Sozialisten und Kommunisten vermehrt, mit dem Versuch die so in der Industrie „vereinte, disziplinierte und organisierte“ Arbeiterklasse zu überzeugen, dass all das Übel seinen Ursprung im Privateigentum findet. Die kapitalistische Produktion verweigert dem Arbeiter den Besitz an den hergestellten Produkten und den Produktionsmittel selbst. Auch sie denken, dass Arbeit die wichtigste Aktivität des Menschen darstellt: Der im Idealfall bewusst wollende Mensch schafft einerseits Produkte um seine Bedürfnisse zu befriedigen und andererseits wird er ein Produkt seiner Schöpfung, da er ja durch die Verarbeitung Gegenstände produziert, die seine Fähigkeiten widerspiegeln, und er sich ebenso selbst durch die so hergestellte Welt verwandelt. Menschsein ist für den Kommunisten ohne Arbeit nicht möglich. Erst durch die Produktion wird der Mensch Mensch. Anstatt für die herrschende Klasse, soll der Arbeiter für die Arbeiterklasse und zu Gunsten seiner eigenen Bedürfnisse produzieren. Die große Hoffnung auf dem Weg zur angeblichen Befreiung von der Klassenherrschaft: Die Ersetzung menschlicher Arbeit durch die Maschine.

Nachdem ich hier kurz versuchte zu skizzieren, wie die heutige angebliche Selbstverständlichkeit zu arbeiten historisch entstand, werde ich diesem kommunistischem Trugschluss, dass die sich ausweitende Automatisierung der Produktion ein Werkzeug unserer Befreiung wäre, einige Worte widmen: Mit der fortschreitenden Technisierung geht ebenso eine fortschreitende Ohnmacht, eine Passivität und Isolation des Menschen einher. Gerade heute, wo Erfahrungen teilweise fast ausschließlich technisch vermittelt werden, zeigt sich deutlich, wie demzufolge die Fähigkeit des Menschen, die vielfältigen Inhalte der Welt intensiv wahrzunehmen und tatsächlich zu erfahren, verloren geht. Immer mehr Apparaturen treten zwischen den Menschen und die Welt, so wird die Wirklichkeit nur noch vermittelt, anstatt mit dem eigenen Körper und Sinnen ihre Beschaffenheit unmittelbar zu fühlen. Durch die extrem spezialisierende Zergliederung und die unaufhörliche Automatisierung des Produktionsprozesses ist der Mensch kein handelnder und herstellender Arbeiter mehr, viel eher beschränkt er sich darauf mitzufunktionieren. Den Gesamtzusammenhang der Produktion muss er nicht überblicken können um seine Leistung zu erbringen und er kennt weder das Zielprodukt noch dessen Ursprung, weder die Zielbestimmung noch die Effekte. Durch diese Zerstückelung des Arbeitsprozesses entsteht ein Riss zwischen der Fähigkeit, Dinge herzustellen und sich diese Dinge auch vorstellen zu können, sie zu fühlen und überhaupt wirklich zu verstehen, was sie sind und wie sie beschaffen sind. Oder begreifst du, wie der Computer mit dem dieser Text geschrieben wird, wirklich funktioniert? Könntest du ihn theoretisch selbst oder mit Hilfe deiner Freunde bauen? Oder die Maschinen, die zur Gewinnung der für seine Herstellung notwendigen Rohstoffe benötigt werden? Oder das Atomkraftwerk, dessen Strom er frisst?

Eine kleine Minderheit von Technokraten und Informatikern spricht die technologische Sprache, um die Produkte weiterentwickeln zu können und die neuesten Produkte überhaupt in ihren inneren Funktionsweisen nachvollziehen zu können. Diejenigen, die sie benutzen sind davon ausgeschlossen und haben demzufolge auch nicht die Macht, die den technologischen Möglichkeiten der Kontrolle und Herrschaft entspringt.

Spätestens ab dem Zeitpunkt, wo Maschinen Maschinen produzieren und der Mensch nur noch zu einem daneben abgestelltem Wärter wird, der die Produktionsvorgänge überwacht, für ihre Sicherheit sorgt oder sie verwaltet, aber selbst ganz und gar von der Herstellung der Dinge abgekoppelt ist, fehlt ihm die Fähigkeit die Dimension der Produkte zu erkennen und zu verarbeiten wohl ganz. Im Angesicht der immer größer werdenden Perfektion der fabrizierten Produkte scheint sich der Mensch für seine eigene simple Beständigkeit zu schämen und gleicht sich so der Welt der Maschinen an. Das Amputieren menschlicher Fähigkeiten durch den Ersatz von Technik – denken wir nur daran, zu was Worthülsen wie Kommunikation, Freundschaft, Zuneigung, Erinnerung, Kontakt in den sogenannten „sozialen“ Netzwerken verkommen, denen man sich kaum noch entziehen kann – das Klonen und „Engineering“ von Menschen, das Eindringen von Nanotechnologie und Chips in den Menschen, die Gentechnik, Schönheitsoperationen und Fitnessstudios mit denen sich der Mensch „optimiert“, das Betrachten der Welt durch technologische Brillen, das ständige Mitführen eines Minicomputers oder Handys mit GPS, Mikrophon und ständiger Erreichbarkeit etc. sind nur einige Ausdrücke davon, wie der Mensch sich immer mehr seinen technologischen Produkten angleicht. Die Technik gibt in der modernen Welt die Maßstäbe vor, nach denen wir uns zu richten haben. Wir leben in, mit, von und für Apparate und leben so nach den Vorgaben der technologischen Logik. Ohne Technologie, sei es nur ein Laptop, ein Handy oder ein Facebook-Account haben wir in dieser Gesellschaft keine Adresse mehr und existieren kaum noch und so wird die Technologie zur unabdingbaren Lebensnotwendigkeit. Schon lange ist die entscheidende Kraft, die einen Menschen prägt und formt nicht mehr in erster Linie das Elternhaus, sondern die Unterhaltungsindustrie (Internet, Fernsehen, Werbung, Filme, Radio, etc.). So formt uns die Technik durch ihre Medienbilder und ihren Gebrauch, in dem sie Erfahrungen simuliert und nach Hause liefert und das wirkliche Erfahren der Welt verhindert. So wie der Mensch sich die Natur zu eigen machte, ist er zum Knecht seiner eigenen Schöpfung geworden. Sinnbildlich hierfür ist, dass die größten Gefahren für den Menschen in der heutigen Zeit nicht mehr von der Natur ausgehen, sondern von dem Industriesystem und den ihm innewohnenden unberechenbaren Risiken.

Da wo Handeln durch Arbeiten und Arbeiten durch Bedienen ersetzt wird, werden die Konsequenzen der eigenen Handlungen nicht mehr direkt wahrgenommen. Es ist kein Wunder, dass die Nazis an der Eingangspforte des industrielle Massenvernichtungslager Auschwitz die Worte „Arbeit macht frei“ hängten. Dort, wo sich eine ganze Nation der Arbeit und Aufopferung für die eigene Rasse verpflichtete, zeigt sich die Abscheulichkeit der zur Spitze getriebenen Logik der effizienten Arbeit: Millionen Menschen zu vergasen ist ungleich leichter als sie zu erschießen, da die Tötung so indirekt und gestaltlos wird und die „Arbeiter“ viel eher Tote „produzieren“ als direkt zu töten. Einstimmig können die Täter danach behaupten, „nur“ Befehle ausgeführt zu haben.

Einige Jahre später expandierten die Möglichkeiten, Hunderttausende und heute Millionen Menschen auf einen Schlag aus sicherem Abstand per Knopfdruck durch Atombomben zu töten, heutzutage muss man nicht einmal mehr einen Knopf drücken, da das Töten durch eine Drohne übernommen wird. Die Technologie schreitet voran und die Distanz zwischen Mensch und konkreter Realität wird unermesslich.

Durch die Arbeit wird auch unsere „Frei-“zeit komplett strukturiert und technisiert wie die Arbeit an sich. All das, was in der Arbeit nicht vorhanden ist, muss in der Freizeit kompensiert werden: Körperliche Anstrengung, das Erreichen selbst gesteckter Ziele, das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft oder eines Kampfes zu sein – all dies findet sich gerade im Sport (Identifikation, Wettbewerb, angebliche Solidarität). Nur vor dem Hintergrund einer tristen Monotonie im Tagesablauf, der kalten Sachlichkeit der Fabriken und Büros, der Isolation am Arbeitsplatz, der Verdrängung von Gefühlen und der Instrumentalisierung zwischenmenschlicher Beziehungen lässt sich verstehen, warum sich Risikosport, Massenevents wie Konzerte, Partys oder Shows einer solchen Beliebtheit erfreuen.

Das neueste Event, die neuste Technologie, die neuste Konsole, die neuste „App“ simuliert, ein soziales Bedürfnis zu befriedigen und die Anhäufung von Waren täuscht vor, die Leere unseres Lebens mit Inhalt füllen zu können. Durch das Übermaß an auf uns einströmenden Bilder-, Informations- und Produktfluten entsteht ein Überdruss, eine Gleichgültigkeit, da wir all das nicht wirklich verarbeiten können und es nichts wirklich Erlebbares bietet. So können all diese Bilder kaum noch irgendeine Art von Betroffenheit in uns erwecken, da sie keinen Bezug zu uns und unserer direkten Lebensrealität entwickeln. Bezugslos, verloren, überfordert, isoliert, uns selbst völlig fremd, als Waisen einer Welt, die wir nicht nachvollziehen können, klammern wir uns an die Technologie und ihre Ausgeburten, deren Fortschritt uns die Kapitalisten als Notwendigkeit und die Kommunisten als Werkzeuge der Befreiung verkaufen.

Was ist diese Arbeit also im Wesentlichen, deren Logik diese technologische Lawine ins Rollen brachte?

In erster Linie ist Arbeit schlicht und einfach die Erzeugung von Mehrwert. Arbeit verwandelt Natur und menschliche Kraft in Wert. Wenn wir arbeiten, zählt das Endprodukt, das beurteilt und bewertet wird. Da dieses Produkt oder der Zweck der Arbeit möglichst hoch in Qualität oder Quantität sein muss, müssen wir vor allem eins erbringen: Leistung. Also muss die Arbeit möglichst effizient sein, was heißt, dass die Art und Weise des Schaffungsprozesses immer dem Zweck untergeordnet ist und die unmittelbare Befriedigung unserer Bedürfnisse, unsere Vorlieben, die Berücksichtigung unserer Fähigkeiten, unserer Kreativität oder schlicht und einfach die Frage, ob uns die Arbeit Freude bereitet, immer außen vor gelassen wird. Die Arbeit muss in allen Kriterien möglichst effektiv organisiert werden, denn es geht um die Herstellung möglichst vieler, möglichst guter Produkte. Für uns Arbeitende zählt dabei nur, ob es uns gelingt oder ob wir daran scheitern, in diesem Arbeitsprozess zu funktionieren. Der arbeitende Mensch ist nur ein weiteres Zahnrädchen in einer riesigen Maschine, das eine zweckgebundene Funktion übernimmt.

Wir Arbeiten nicht, um Notwendigkeiten für unser Überleben zu sichern, sondern um irgendetwas für irgendwen zu tun und davon irgendetwas Absurdes kaufen zu können. Arbeit ist zum Selbstzweck geworden und Etliche arbeiten nur für die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen, damit wir stets durch Arbeit und Konsum beschäftigt und abgestumpft sind.

Es ist kein Wunder, dass vielen Menschen Bilder von Hunger oder untätiger Faulheit in den Kopf kommen, wenn die Rede von der Zerstörung der Arbeit ist. Arbeit und das Teilnehmen am wirtschaftlichen Leben sind der institutionalisierte, also der staatlich festgelegte Rahmen, der uns – solange wir fleißig mitarbeiten – das Überleben und Nahrung garantiert. Wenn wir diesen institutionellen Rahmen zerstören, gibt es niemanden mehr, der uns das garantiert, das ist richtig. Aber ebenso gibt es niemanden mehr, der uns zu einem Leben der unfreiwilligen Arbeit zwingt. Also wären wir der uns unbekannten Erfahrung ausgesetzt, die Dinge, die wir für nötig halten, dann zu tun, wenn es notwendig ist und alle restlichen Tätigkeiten auf der Grundlage von Freiwilligkeit, gegenseitiger Hilfe und eigenen und kreativen Lösungen zu verrichten.

Das Gegenteil von Arbeiten ist wohl das Spielen. Das Spiel trägt den Sinn in sich selbst und wer spielt – auf welche Art und Weise auch immer – tut dies um zu genießen, um sich zu freuen, um gemeinsam wild und fantasievoll zu sein. Somit ist das Spiel das Gegenteil einer Tätigkeit, die nur darauf abzielt etwas zu produzieren. Wenn ich von der Zerstörung der Arbeit spreche, spreche ich von der Zerstörung der Logik, die uns zu einer möglichst effizienten Maschine macht. Wenn wir die Arbeit zerstören, haben wir die Möglichkeit, den Sinn, die Form und die Umstände unserer schöpferischen Tätigkeiten selbst zu bestimmen, anstatt sie der Produktivität einer Fabrik oder dem Wohl eines Chefs oder einer Klasse unterordnen zu müssen. Dass uns diese Möglichkeit nicht durch die bloße Verweigerung der Lohnarbeit offen steht, ist offensichtlich. Viel eher entfaltet sie sich in den Momenten, in denen Menschen ihr Leben in die eigenen Hände nehmen, um sich der unterwürfigen Arbeit zu entledigen, ihr Leben selbst zu gestalten und ein spielerisches Experiment zu wagen, dessen stürmische Wogen heute wie gestern die Geschichte unaufhörlich erschütterten: Der Versuch, diese Welt auf den Kopf zu stellen.