Anderswo – Ägypten

Ägypten ist ein weit entferntes Land auf einem anderen Kontinent. Hinter dem Ozean über  Landmassen hinweg, ein weiter Weg. Ägypten kocht. Aber anstatt die Aufstände als etwas wahrzunehmen, von dem wir lernen können und aus dem wir Schlüsse für unser eigenes Handeln ziehen können, als einen Moment der bestimmt nicht spurlos an den Umständen unter denen wir Leben vorbeiziehen wird, also als etwas das uns nahe geht und uns auch betrifft, nehmen wir die Ereignisse eher als ein Märchen von ganz weit weg wahr. Soweit weg, dass es uns kalt lässt und wir scheinbar nicht einmal die Tragweite und die daraus entstehenden Möglichkeiten verstehen können oder wollen.
Herrschaft ist etwas überall existierendes, sie ist ein Zustand vor dem sich niemand verstecken kann. Nur trifft uns Herrschaft überall in den unterschiedlichsten Formen, mit einer unterschiedlichen Härte bzw. Offensichtlichkeit, manchmal trifft sie uns durch die Peitsche, manchmal durch Mitbestimmung, woanders als Ideologie höherer Werte. Letzten Endes sind wir ihr aber immer und an jedem Ort ausgesetzt.
Die Aufstände im Süden sind ein ziemlich deutlich vernehmbares Hämmern an die Pforten unserer sozialen Befriedung. Soziale Widersprüche mit Konflkitpotenzial gibt es auch hier, nur schwelgen sie noch unter der Oberfläche der Illusionen und entwickeln sich noch nicht zu offen auftretenden Konflikten.
Was in Ägypten und anderen Teilen Nordafrikas passiert, ist zunächst einmal ein Aufbegehren gegen die soziale Situation in der sich die Menschen befinden.Doch was die Menschen verbindet wenn sie kollektiv den Aufstand wagen, sind nicht die Tausenden und Abertausenden Motivationen zu revoltieren, sondern die verschiedensten Mittel die sich im Angriff gegenseitig ergänzen um sich gegen ihre wie auch immer aussehende Unterdrückung zu stellen.

Was die Medien hier berichten, begann mit der Hoffnung auf eine friedliche Revolution gegen eine Ordnung die sich mit aller Gewalt am Leben erhalten will, doch nun da sich der Aufstand ausweitet und nicht mehr bei der Ablehnung des herrschenden Regimes halt macht, dreht sich der Spieß um und die Berichterstattung beginnt Angst vor “extremistischen”Gewalttätern  die eine Gefahr für den Westen und die Demokratie darstellen könnten, zu schüren. Nicht nur die anarchistische Bewegung befindet sich bereits seit längerem im Fokus des Staates und der religiösen Fundamentalisten. Denn mit der zunehmenden Intensivierung des Aufstands häufen sich auch die Angriffe auf  die Infrastruktur, staatliche Institutionen, Gefängnisse und Gebäude der Islambrüder.
Ein Aufstand entblößt etwas gerade zu einfaches und deutliches, denn er ist das anmutige zu Tage treten einer Banalität: Keine Macht kann herrschen ohne die freiwillige Knechtschaft derer die sie ertragen.
Und Herrschaft, egal ob diktatorisch oder demokratisch, beruht immer auf Unterdrückung und deren Akzeptanz. Mit Reformen ist daran wenig zu rütteln, da sie nur ein oberflächliches kratzen an dem Auftreten der Herrschaft darstellen – nur dafür sorgen die Unterdrückung und ihre Ungereimtheiten zu perfektionieren – und somit der Machterhaltung und der Befriedung der Situation ein ergebener Diener sind. Auch hier kann mensch unmöglich behaupten, dass die Temperatur Europas stagniert, denn die Bedingungen unter denen wir gezwungen sind zu Leben verschärfen sich, die bestehenden sozialen Widersprüche weiten sich aus, sodass es unmöglich ist den Konflikt der keine Aufschiebung dulden kann, weiter heraus zu zögern.Besser zu früh als nie. Von den Aufständen im Süden gibt es viel zu lernen. Wenn Menschen gegen ihre Unterdrückung rebellieren, wieso sollten wir sie alleine lassen und nicht unsere Unterdrückung ebenfalls angreifen und Solidarität zeigen, indem wir ihren Aufstand in das Herz der sozialen Befriedung tragen.
So ruhig wie es ist bleibt es (hoffentlich) nicht.