Anderswo: Chile

Banküberfälle sind nach wie vor ein relativ weit verbreitetes und beliebtes Mittel, wenn es darum geht sich selbst zu helfen und zu versuchen sich Geld zu beschaffen. Sei es aus Not, aufgrund einer Lebenssituation in der nichts mehr zu verlieren ist, vielleicht auch weil man einen Traum verwirklichen will, wegen des Abenteuers, oder aus einem anderen der abertausenden Gründen und Motivationen heraus. Bestimmt nicht wenige Leute müssen lächeln, wenn sie von den Summen hören, die schon erbeutet wurden. Wahrscheinlich spricht da der Neid, oder eine naive Vorstellung, dass man mit der Beute sein restliches Leben lang sich nicht mehr von einem Boss ausbeuten lassen müsste und die bei der Arbeit zugrunde gehende Kreativität und Kraft für sich nutzen könnte. Wahrscheinlich begründet ein Großteil der Menschen, die sich ein bisschen positiv auf eine Enteignungsaktion bei einer Bank beziehen, dies mit einer „moralische Rechtfertigung“ á la „der Bank schadet es sowieso nicht“, „sie sind verantwortlich für die miserable Situation in der wir stecken“ etc.

Mal zeigt sich die Sympathie für Bankräuber offener, wie in der „Münchner G’schichte“, die über den Bankraub in der Prinzregentenstraße im Jahre 1971 in der Fernweh Nr. 1 berichtet, manchmal aber auch etwas verhaltener und verschwiegener, eher hinter vorgehaltener Hand. Aber dafür gibt es durchaus auch Gründe, die nicht zu ignorieren sind – die Kultur des Bespitzelns und Verratens zwischen den Unterdrückten, Armen, Reichen, Staatstreuen, Gehorsamen etc. jetzt mal beiseite gelassen. Denn eine Enteignungsaktion ist immer ein direkter Angriff auf das Eigentum auf welchem die Welt basiert, welches von den Bullen und vom Gesetz verteidigt wird und die Ausbeutungsverhältnisse ermöglicht, die den Großteil der Menschen in eine unterwürfige und ausgebeutete Sklavenrolle zwingen. Die Reaktion des Staates wird also egal was ich (und auch jeder andere) von einem Banküberfall denkt, die gleiche sein: Um jeden Preis die Infragestellung des Eigentums und die Missachtung der uns züchtigenden Regeln zu bestrafen, egal ob mit Verfolgung, Folter, Einsperrung und wenn nötig auch mit dem Tod. Denn die Angst vor der sozialen Verbreitung von Ideen, die sich jenseits von dem von Gesetz und Profit diktierten Rahmen bewegen und die nicht mehr von der Herrschaft zu kontrollieren sind, ist größer als das bisschen Geld, was den Besitzer wechselt.

Und dafür scheren sich der Staat und die Macht eine riesige Herde an Lakaien um sich. Von den Bullen und den privaten Wachmännern, die mit den selben Waffen und Rechten ausgerüstet werden, bis zu den Wärtern und Psychologen, die die abgeschotteten Zellensysteme kontrollieren und dafür sorgen, dass die Luft die man atmet durch Gitterstäbe gefiltert und von Pharmaka geschwängert ist.

 

So auch am 11 Dezember 2013 in Chile. Am Morgen dieses Tages kam es bei einem versuchten Banküberfall in einem Vorort von Santiago (Hauptstadt von Chile) zu einer Schießerei, bei der ein Wachmann der Banco Estado (einer vom Staat betriebenen Bank) auf einen 26-jährigen sechs Schüsse abfeuerte. Damit tötete er den Anarchisten Sebastian Oversluji Seguel. Kurze Zeit darauf verhafteten die Bullen zwei weitere Anarchisten in der Umgebung und entführten diese als Verdächtige in irgendwelche Knäste. Was folgte war eine größer angelegte Durchsuchungswelle von Wohnungen und Häusern der Verhafteten und deren Familien und Freunden.

Den beiden Verhafteten (Alfonso Alvial und Hermes Gonzalez) werden auch noch andere solcher Aktionen vorgeworfen, weil sie bereits wegen Solidaritätsaktionen im „Caso Bombas“ (ein von den Medien und Staat als „Bomben Fall“ bezeichneter Prozess und Ermittlungen gegen Anarchisten in den letzten Jahren) angeklagt waren.

 

Caso Bombas“

 

Am 14ten August 2010 begann das Polizeispektakel unter dem Namen „Operation Salamandra“. Zeitgleich durchsuchten die Wachhunde der Macht 17 Häuser und Wohnungen in Santiago und Valparaiso. Sie entführten 14 Personen zu verschiedenen Knästen, unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und für 23 Bomben- und Brandanschläge verantwortlich zu sein. Begleitet wird das Ganze Spielchen von weltweiten Solidaritätsaktionen und einem globalen Solidaritätsaufruf, dem auch in München eine Aktion am 25 September 2010(?) folgt. Hier wurde das chilenische Konsulat mit Farbe angegriffen. Ihre Ermittlungen führen die Behörden nicht nur in Chile, sie dehnen sie aus und ziehen international andere Polizeibehörden mit ein.

So wurden Jahre später am 13ten November 2013 fünf Anarchisten in Barcelona mit dem Vorwurf einen Sprengkörper in einer Kirche(?) deponiert zu haben, verhaftet und verschleppt. Unter ihnen sind zwei chilenische Gefährten die bereits unter dem „Caso bombas“ in Chile eingesperrt waren.

 

Über Enteignungsaktionen

 

Jeder Mensch verspürt den Zwang sich zu verkaufen, sich für einen beschissenen Lohn ausbeuten zulassen und eine ungesunde, routinierte Tätigkeit zu verrichten um sich die Erlaubnis kaufen zu können mehr oder weniger ohne Ängste leben zu können. Wahrscheinlich nimmt aber auch der Großteil derer, die unter den Zwängen unter denen wir leben, nicht einmal als Zwänge wahr. Die Kosten um zu überleben – und hier rede ich jetzt nur von den finanziellen, nicht davon, dass wir diese Existenz die uns geboten wird mit unserer Selbstbestimmung, unserer Freiheit, unserer Kreativität, unserer Einzigartigkeit… bezahlen – steigen immer mehr und indem gleichzeitig die Kontrolle ausgebaut wird, werden uns immer mehr Möglichkeiten verschlossen, die noch erlauben würden, uns auf andere Wege fernab von Arbeitgebern und Vermietern durchzukämpfen. In Form von Kameras, der wachsenden militärischen Besetzung der Straßen, des Umbaus und der Umstrukturierung der Städte, von mehr Gesetzen und der Tendenz zunehmend schneller in den Knast oder die Klapse zukommen. Auch wenn jetzt, wo ich hier diese Zeilen schreibe, kein Bulle mit seinem Schlagstock auf mich einprügelt, wird meine Existenz in dieser Welt von klein auf von und mit Gewalt geprägt. Unser Element ist das der Gewalt, nicht immer auf den ersten Blick erkennbar und auch nicht immer mit körperlichen Schmerzen verbunden, aber die Zwänge und Regeln unter denen wir gezwungen sind zu leben und die ständige Androhung von Gewalt bei Ungehorsam, ist für mich ein ziemlich gewalttätiges Verhältnis. Wenn das für euch keine Gewalt ist, müsst ihr aber ziemlich viel hinnehmen können und damit einhergehend auch schnell damit sein euch selbst zu verleugnen, oder?

Was kann unter diesen Umständen ein ehrlicherer und würdevollerer Akt der Ablehnung und Verachtung sein, sich ausbeuten zu lassen und sich den Gesetzen der Autorität und der Unterwerfung zu beugen, als sich mit dem notwendigen Mut und Waffen zu versehen um sich das zu nehmen was man zum Leben braucht, oder um sich das zu beschaffen, was notwendig ist um sein revolutionäres Projekt zu verwirklichen oder materiell abzusichern?

Diese Welt lehrt uns schon immer den Regeln des Anstandes zu gehorchen, die gleichzeitig in der Selbstaufopferung und Unterwerfung münden und sich aus der Aufrechterhaltung der Eigentumsverhältnisse speisen. Diese Lehre ist es, die uns lernt zu fragen und zu betteln bevor man sich bedient oder weiterhin die Nase an die Scheibe drückt, diese Lehre bewegt uns dazu uns unser Geld ehrlich zu verdienen, welches von uns verlangt wird um zu überleben und um unser Dasein rechtfertigen zu können, indem wir uns lieber ausbeuten lassen und ein würdeloses Dasein vor dem bisschen Gesetze brechen bevorzugen.

Natürlich besteht eine Umwälzung der herrschenden Ordnung nicht allein aus einigen Banküberfällen, Diebstählen in Supermärkten und der ungesetzlichen Verteilung von Gütern, aber jede Handlung, die unsere Ausbeuter enteignet kann ein Werkzeug unter vielen sein.

 

Die Angriffe vervielfältigen…

 

Eine Revolution steht nicht an, sie scheint eher noch weit entfernt, wenn sie nicht vollkommen utopisch wirkt. Denn die Bedingungen verschlechtern sich täglich, der Spielraum und die Möglichkeiten werden immer geringer, es werden Herrschaftsinstrumente ausgebaut, die nicht mehr so einfach zu zerstören sind und welche uns an sie und eben auch ihre Herrschaft für viele weitere Jahre binden. In den Städten verlernt man immer mehr das soziale Leben, sich gegenseitig zu helfen und überhaupt sich kennen zu lernen. Unsere Sprache wird durch tausende Technologien beinahe irreparabel verstümmelt, bis zu der Unkenntlichkeit, die nicht mehr vermag unsere Ideen auszudrücken. Und es scheint keine Besserung auch nur im Entferntesten erkennbar zu sein. Die Herrschaft baut mit allen Mitteln ihre Macht aus um sich zu erhalten, und ja alle Gefahren für sich zu verringern.

Aber wenn wir nicht vollkommen die Hoffnung aufgegeben haben und uns immer noch an unsere Träume, die nicht von Werbung, Fernsehromanzen, gesellschaftlichen Anforderungen infiziert wurden, erinnern können, muss die Schlussfolgerung und die Konsequenz daraus der Angriff sein, es muss die unzähmbare innere Unruhe und der Drang sein nicht länger abzuwarten und sofort loszuschlagen.

Deswegen werde ich mich von den Angriffen auf Ausbeutung und Unterdrückung, die täglich stattfinden, nicht distanzieren, sondern eher ihre Notwendigkeit verteidigen, vor allem auch gegenüber jenen, die schon längst die Rollen der Handlanger eingenommen haben und angesichts der Tatsachen immer noch Ruhe, Ordnung und Warten predigen. Immer mit dem Verweis auf die daraufhin ansteigende Repression, die Razzien und Verhaftungen des Staates. Doch die Repression wird nicht erst durch entschlossene Handlungen eingeleitet, sie ist immer präsent.

 

Was einer Revolution vorausgeht sind Aufstände und Aufstände speisen sich aus der Verbreitung von Ideen, Erfahrungen und Angriffen. Ihnen geht die individuelle Rebellion voraus und die Entscheidung dafür trifft jeder selber, der Räuber wie der Dieb, der Brandstifter wie der Steineschmeisser, der Sprayer wie derjenige, der einen Text verfasst und verteilt.

 

Am Ende ist es vielleicht eine Frage der Würde…

 

weil jeder für sich entscheiden muss, welche Position man ergreifen will. Ob man sich dessen überhaupt bewusst ist, hat letztendlich keinen Effekt für die Konsequenzen seiner Entscheidungen und Handlungen. Ob man nun ehrlich arbeiten geht, seine körperliche und geistige Unversehrtheit aufs Spiel setzt und man mit allen anderen an der Aufrechterhaltung dieser unterdrückenden Verhältnisse mitarbeitet, oder so wie derjenige, der mit der Pistole in der Hand eine Bank um ihr Geld erleichtert, so sein Leben an das Dasein in einer Zelle verlieren kann und sich aber trotzdem gegen diese tägliche Erniedrigung wendet – es ist die Frage zwischen der Freiwilligkeit sich ausbeuten und unterdrücken zu lassen und des Willens mit der man trotz aller Gefahren sein Leben selbst in die Hand nimmt.

Täglich führt diese Welt Krieg gegen jene, die der Welt erst ihre lebenswichtige Energie geben um bestehen zu können. Mal tobt dieser Krieg offen mal verdeckt, mal mit Waffen, mal mit Worten und Steinen, mit Gesetzen und Einsperrung. Doch auch wenn man inmitten all dessen still schweigend in eine Totenstarre verfällt, entlädt einem dies nicht die Verantwortung für die eigenen Handlungen, die man trägt.

 

Lasst uns unsere Trauer in Zorn und unseren Zorn in Schwarzpulver verwandeln“, – Worte eines Banners zu dem Tod des Anarchisten Mauricio Morales in Chile, der durch die Explosion einer Bombe starb, mit der er auf dem Weg zu einer Polizeikaserne war