Farbattacke auf S-Bahnen

Die Herrschaft und der Kapitalismus und damit das Alltägliche, basieren heute immer mehr auf dem Austausch von Daten, Informationen und Waren. Um den schneller wachsenden Anforderungen zu entsprechen, muss die dafür notwendige Infrastruktur immer weiter entwickelt, ausgebaut und verbreitet werden. Das heißt: Mobilfunknetze und Internet müssen restlos den Globus umfassen, nicht um eine egalitären Zugang zu Was-auch-immer zu gewährleisten, sondern um alle Orte dieser Welt zu vernetzen und zu kolonisieren. Das heißt: Glasfaserkabel müssen verlegt werden um noch schneller noch mehr Daten übertragen zu können. Das heißt: Schienennetze müssen ausgebaut und erneuert werden um die rechtzeitige Lieferung von Waren und Produktionsmittel zu gewährleisten. Das heißt: Dieses für Störungen und Sabotage sehr anfällige Netzwerk an Kabeln, Schienen, Sendemasten, Verteilern, etc. muss geschützt werden, um die weiter fortschreitende Entwicklung und die damit einhergehende Normalität, zu bewahren. Dieses dezentrale Netzwerk kann unmöglich nur mithilfe von Menschen bewacht und kontrolliert werden. Deswegen setzen die Sicherheitskräfte immer mehr auf technologische Hilfsmittel, wie künstliche DNA (unsichtbare Mikropartikel die automatisch, beispielsweise bei Verlassen des Ladens, auf die Täter gesprüht werden um nach einem Diebstahl oder Überfall, das Diebesgut oder die Täter eindeutig identifizieren zu können), Infrarotkameras, Laser-Gleisbettüberwachung, Drohnen, etc.

In München ist die Bundespolizei mit einigen Hubschraubern ausgerüstet, die mit 1-Millionen Euro teuren (Infrarot-)Kameras ausgerüstet sind, mit denen sie auf Jagd geht, zum Beispiel nach Graffiti-Sprühern. Das Verhältnis sollte man sich mal länger zu Gemüt führen: Sprüher vs. Militärtechnologie. Dazu passend plant die DB sich zukünftig auch mithilfe von Drohnen vor diesen zu schützen.

Trotz dieser immensen Überwachungs- und Verfolgungsmöglichkeiten, bewiesen Unbekannte am 23.11.2015, dass die Lücken und Unvollständigkeiten in diesem System nutzbar sind. Nutzbar für Sabotage, Vandalismus, Zerstörung. Innerhalb eines Abends wurde mehr als ein Drittel der gesamten S-Bahn-Flotte Opfer von „Farbbeutel- und Spraydosenanschlägen”. Egal wer, egal warum, egal wie, diese 88 beschädigten S-Bahnen in einer Nacht zeigen, was für Möglichkeiten existieren. Dieser koordinierte Akt des Vandalismus zeigt, wie einfach es ist und was man erreichen kann, wenn man zusammen kommt und sich minimal über Ziel und Zeit verständigt. Die Züge wurden mithilfe der einfachsten „Waffen“ beschädigt: Sprühdosen, Farbeimer, Farbbomben, mit Farbe gefüllte Feuerlöscher, etc. Es sind einfache und für jeden zugängliche und anzueignende Mittel und haben somit ein großes Potenzial sich zu verbreiten. Einen Tipp für das nächste Mal lieferte die DB selbst, in einem Interview erklärte ein Mitarbeiter die zerstörende Wirkung von Tinte. Denn einige der Farbbomben scheinen mit Tinte gefüllt gewesen zu sein und diese geht angeblich aufgrund hoher Kriechfähigkeit in kleinste Ritzen und beschädigt somit auch das, was unter der schützenden Lackschicht liegt. Jede Farbe mit extra viel Lösungsmittel zeichnet sich durch eben diese Eigenschaft aus, denn je mehr Lösungsmittel, desto tiefer zieht die Farbe in die beschmutzte Oberfläche ein.

Die DB wusste sich nicht anders zu helfen als ein Kopfgeld von 5000 Euro auszusetzen, dieser Versuch ist jedoch glücklicherweise im Nichts verlaufen, zeigt jedoch, dass man sich nur mit Personen zusammen tun sollte denen man vertraut. Der Aufschrei in den Medien war immens: „Das hat nichts mehr mit Kunst zu tun, das ist Zerstörung fremden Eigentums, Vandalismus!“

Kunst im öffentlichen Raum ist nur, was die Stadtplaner-und -verwalter als solche definieren. Vor allem jetzt, wo die Stadt plant in Kunst-Projekte zu investieren, die München, wie in den 80er Jahren, zur Graffiti-Hauptstadt Europas befördern soll, denn das jahrelang verrufene Graffiti, bietet jetzt plötzlich eine neue Möglichkeit die Stadt neu zu verkaufen und folglich auszuverkaufen. Nicht nur in Sachen Gewalt nimmt der Staat das Monopol in Anspruch, sondern nun auch in Sachen Kunst, Graffiti, Vandalismus, etc. oder wie auch immer man das bezeichnen will. Aber, dass die Stadt hier auf dem Rücken all derjenigen, die in den 80er Jahren nachts draußen waren, gehetzt, gejagt, eingesperrt, bestraft wurden, für das, was sie taten und heute immer noch viele Leute machen, ganz dreist die Geschichte verdreht, sollten sich all jene gut merken, die auch mal zur Sprühdose greifen.

Die Interessen der Stadt und die der Leute, die sie mit eigenen Mitteln gestalten, können nicht die selben sein.