Träume

Manchmal passiert es, wenn ich morgens auf die U Bahn warte. Schwebend zwischen den Gedanken meine Nase in den Nacken meiner Frau zu graben, bevor mich die Morgenlatte weckt und die Gewissheit hier mit all den Schlafenden zu stehen die ihr Leben hingeben um der Industrie zu dem Arschfick zu verhelfen, den wir Arbeit nennen.

Ich bleibe einfach stehen. Für einen flüchtigen Augenblick im Server der Matrix, bin ich eine Fehlfunktion. Für diesen Moment kann ich uns sehen, ich kann mich sehen und vor allem die Geschichte die sich hinter der Miene verbirgt, die so offensichtlich von Akzeptanz verstümmelt wird, dieser Welt niemanden und nichts von Bedeutung zu hinterlassen.

Wieviele von den Gesichtern die mir täglich in der rollenden Sardinenbüchse begegnen, haben hinter den glanzlosen Augen einen Traum begraben irgendwann einmal etwas oder jemand zu sein, auf das das Kind in uns schwören würde: Ich bin glücklich.

Die Szenerie des Bahnhofes kommt mir vor als würde ich sie durch eine Art Filter betrachten. Gefangen in einem Film des Ich muss denkens.

Es ist kurz nach 8, viel zu früh um sein Leben zu verschwenden und dennoch bereits zu spät die U3 so zu betreten, dass sich der Brustkorb beim Atmen bewegen kann.

Ein kurzer Blick in die Menge und sämtliche stereotype System-Sklaven sind bereits auf der MitfahrerCheckliste abgehackt. Da ist der busy Laptopknilch, dem die Dosis Smartphonestrahlung bereits nicht mehr genug ist. Der Handyspieler der am Morgen bereits den Zeigefinger auf Olympianiveau trainiert. Die Tante mit dem StahlToGoBecher von daheim, weil die Dosis Koffein von Zuhause nicht bis zum erreichen des Arbeitsplatzes vorhält. Die Chiller, etwa 2 von 10, die es tatsächlich noch schaffen, in der UBahn kein Telefon in der Hand zu haben. Und.. naja der Rest. Leute wie Du und Ich, mit den Knopf im Ohr. Menschen, die hier sind, und doch so unaussprechlich weit entfernt (oder zumindest so weit, dass es bis ins eigene Bett reicht). Menschen, die alle Impressionen, die diese Welt uns bietet aufnehmen und nicht loslassen können im Gedanken, dass dies nicht alles sein kann, was wir sind. Dass wir nichts hinterlassen als die Bildung um unsere Kinder in sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer zu verwandeln. Den wir wissen ja: Die guten Menschen gehen ackern! Die guten Menschen lesen Süddeutsche oder schlimmeres um immer informiert zu sein, was anderen Menschen an Grausamkeit widerfährt. Gute Menschen sind Teil der Industrie um all die Vorzüge zu geniessen, die diese Plage für uns bietet.

Meine Kinder werden gute Menschen, obere Unterschicht Menschen. Leute die am Röcklplatz wohnen und den neuen Hyundai SUV auf Leasing fahren. Weil, wir können uns zwar nur n Hyundai leisten aber dafür muss es dann n SUV sein.

Unsere Träume zu tauschen soll sich wenigstens auszahlen.

Manchmal wenn ich all das auf mich einwirken lasse während ich in der Sardienenbüchse hin und her schwanke, frage ich mich, was der ein oder andere hätte wirklich werden wollen in seinem Leben. Ich sehe dann Rennfahrer, Astronauten, Ninjas, Ballettänzerinnen, Forscher, Biologinnen, Musiker und mich. Als ich klein war, wollte ich immer ein Ritter sein. Total dämlich denkt jetzt jeder, und manchmal lässt du dich hinreißen es selbst zu denken.

Dann sehe ich eine Frau. Sie ist etwa Ende 40, schlicht gekleidet und lehnt an der Glasscheibe neben der Tür. Am Anfang der Fahrt ist sie mir nicht aufgefallen weil der Strom an Systemsklaven mich weiter in den Wagon gequwetscht hat, aber jetzt sehe ich sie. Sie weint.

Mit einer Hand vesucht sie ihr Gesicht zu bedecken während sie den Kopf in die kleine Ecke zwischen Scheibe und Tür gedreht hat.

Nächste Station: Giselastraße. Ich muss raus, so wie das Universum will, die Frau auch. Während der Strom an Leuten an uns vorbeizieht die weder Zeit, Charakter noch Interesse haben, dem Bruch von Menschen entgegenzuwirken, berühre ich sie an der Schulter und frage was los ist. Nichts antwortet sie, schwebend zwischen erschrocken und erstaunt, dass jemand nicht wortlos vorüberzieht. Von nichts bist du nicht traurig, sage ich. Was weißt du schon, lass mich, sagt sie. Ich weiß, dass ich oft geweint habe, genau wie Du. Alleine unter 1000.

Ihre abweisenden Augen mustern mich, nur dass sie sich dieses mal die Zeit nehmen etwas zu sehen. Und da ist sie. Die Fehlfunktion. Der Regenbogen in der Bitterkeit des langen Armes der Industrie. Die Liebe und ihre Kraft das Wesentliche in uns allen zu sehen.

Dann fängt sie an zu erzählen. Sie hat 3 Kinder, alleinerziehend. Ihr Vermieter hat ihr gekündigt wegen Eigenbedarf, jetzt lebt sie seit 18 Monaten zwischen Frauenhaus und Notunterkunft. Ihr Deutsch ist zu schlecht und ihr Job zu Scheiße für eine Wohnung von Immobilienscout oder anderen. Ihr Leben besteht aus Absagen, Angst, Wut, Ungewissheit und allein gelassen zu werden im Kampf um die Zukunft Ihrer Kinder. Sie putzt den Dreck weg für Menschen, die mehr haben als sie brauchen und dennoch nicht zufrieden sind. Jedes Mal wenn sie überhaupt einen Besichtigungstermin für eine Wohnung bekommt, steht sie in einer Schlange mit Menschen, die wirkliche Probleme nicht kennen und trotzdem bevorzugt werden, weil auf der Selbstauskunft eine Null mehr beim Verdienst steht. Sie kennt keine Hand, die sich ihr entgegenstreckt, keine Gnade, kein Mitleid, nur allein sein mit der Hölle mitten in der „Weltstadt mit Herz“.

Ich kramme aus meiner Jackentasche einen Aufkleber auf dem steht:

Revolte und Krawall gegen die Stadt der Reichen.

Ich sage ihr: Du bist nicht allein. Sie blickt mich an und lächelt. Für diesen Moment in unseren Leben sind wir uns einig, wir können uns sehen, als die, die wir wirklich sind. Wir sind keine Fremden mehr. In einem Buch über den Weg des Samurai habe ich einmal gelesen, dass das Wort Samurai oder Ritter nicht nur Krieger bedeutet sondern mehr und vor allem auch Diener. Heute habe ich jemand für einen Augenblick lang glücklich gemacht, mein Herz pumpt und die dreckigen Malerklamotten fühlen sich an wie ein Harnisch.

Vieleicht sind diese Sticker die niemand in der U3 etwas bedeuten außer ihr, genau das kleine bischen AntiMatrix das mich immer wieder dazu bringt, mich an meinen kindischen Traum zu erinnern.

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Heute bin ich es.