Die Logik des Krieges

Es ist wieder so weit! Ein knapper Monat verstrich seit dem von Gotteskriegern in Paris angerichteten Blutbad, bis Deutschland aktiv in den Krieg in Syrien eingetreten ist. Ein Krieg um „uns“ zu verteidigen – gegen das ultimativ Böse, den Feind, die Anderen… gegen den Terror. Eine natürliche Konsequenz, sie greifen an, wir verteidigen uns. Dass dieser Kriegseintritt in unseren Augen so natürlich scheint, offenbart, wie sehr die Mechanismen der sozialen Kontrolle es gewährleisten unsere Sensibilitäten und Ängste, Beobachtung und Wahrnehmung zu manipulieren, so dass wir letztendlich als ein gemeinsames „Wir“ fühlen und denken, sehen und handeln. Eine beständige Herrschaft baut nicht nur auf Waffengewalt und die unterwürfige Resignation der Beherrschten, sondern auf den Konsens der Bürger, die als eine geeinte Masse hinter dem Staat stehen und als dieser denken, handeln und in den Krieg ziehen.

Wer hat Angst vorm… Terror?“

Menschen werden schutzbedürftig gemacht indem sie ein zunehmend atomisiertes Leben führen und jeder direkten Erfahrung der Welt beraubt werden. Wir leben in einem goldenen Käfig, der uns von Mitmenschen, unserer Umgebung und Vergangenheit trennt. Die Medien sagen uns, was gerade passiert und real ist, die Werbung erzählt uns, was wir verlangen und die Politik erklärt uns, was wichtig für uns ist. Eine allumfassende Stadtplanung presst uns in Apartments, die Grabkammern ähneln, und die neusten Geräte, Apps und sozialen Medien lassen uns Teil künstlicher Gemeinschaften werden. Ein standardisierter Alltag in einer standardisierten Stadt standardisiert unseren Geschmack und unsere Aktivitäten. Wir sind zunehmend in unserer Fähigkeit eingeschränkt zu verstehen, was wirklich passiert, und wovor wir tatsächlich Angst haben. Wir sind von Geräten und Dingen umringt, die wir weder herstellen noch reparieren können. Selbst die einfachsten Sachen – wie das Gewinnen von Wasser – bestätigen unsere Abhängigkeit von Institutionen und ihren zentralisierten Strukturen. Wenn etwas nicht funktioniert, reagieren wir panisch. Das Individuum ist machtlos und bettelt im Angesicht der Apparate um Schutz. Wir haben Angst und werden durch Angst regiert. Man kann die absolut stillschweigende Akzeptanz der Repression, des Ausnahmezustandes im Nachbarland, der mit Maschinengewehren bewaffneten Bullen-Patrouillen, ihrer neuen Ausrüstungen (Gewehre und Schutz-Kleidung; teilweise Body-Cams und lautlose Elektro-Autos) und Einheiten (BFE +) und der Gesetze in ihrem Rücken (bspw. Vorratsdatenspeicherung; Verschärfung des Versammlungsgesetzes), nicht getrennt von dem fortschreitenden Verlust individueller Autonomie betrachten, dem Verlust der Selbstständigkeit eigene Ängste und Handlungsmöglichkeiten selbst einzuschätzen und wahrzunehmen. Was wir als Realität empfinden ist ein ein am laufenden Band produziertes Konstrukt. Nun wird uns weiß gemacht, dass mehr Waffen und Polizisten auf deutschen Straßen sowie mehr Bombenangriffe in Syrien den heimischen „Frieden“ sichern. Der Krieg gegen den Terror wird nicht geführt, weil „der Terror“ der herrschenden Ordnung zur Gefahr wird, sondern weil der Konsens der Bürger gestärkt und erzwungen wird, der Konsens gegenüber dem totalen Krieg gegen alle inneren und äußeren Feinde. Denn was eint mehr, als ein gemeinsamer Krieg, ein gemeinsamer Feind, in dessen Angesicht wir alle gleich sind, es keinen Unterschied mehr macht, wer wir sind und wohin wir wollen, da es in der Massenidiotie der Herde keine Differenzen mehr gibt, sondern nur noch zu vernichtende Gegner und gleichgesinnte Kameraden?

Abstraktion und Realität

Im Krieg gibt es keine Individuen. Ansonsten würde kein Krieg funktionieren. Man schießt nicht auf Menschen, auf Einzelne, sondern auf Uniformen, auf Monster, auf Feinde, auf Kategorien. Kategorien verwischen, was der Feind ist, wie und warum er so ist, wie er fühlt und denkt. Kein Pilot eines Euro-Fighters oder einer Drohne will und darf wirklich wissen, was und wen er da gerade getroffen hat, wie es sich anfühlt, getroffen zu werden. Verletzte, Todesopfer und „Kollateralschäden“ sind Zahlen und Daten in Statistiken, nichts weiter. Erst die absoluten Kategorien, die Abstraktionen von Menschen zu Zahlen ohne jegliche Lebendigkeit und Charakteristiken, ermöglichen die heutigen Kriege und deren Wirkung als saubere, neutrale Interventionen, jenseits von Bombardements auf konkrete menschliche Wesen. Erst die Technologie ermöglicht das Verwischen von Ursache und Wirkung, von Wirkung und Emotion und setzt an deren stelle eine klaffende Distanz, deren Resultat eine totale Isolation ist, die den Soldaten von der Realität seines Tuns und seiner Verantwortlichkeit für dieses, trennt und abkoppelt.

In der Logik des Krieges ist von heute auf morgen mein gestriger Feind mein neuer Verbündeter, da er der Feind meines Feindes ist. Er ist kein Individuum, zu dem ich eine einzigartige Beziehung habe, Nähen und Differenzen, sondern schlicht ein Verhandlungspartner und uns verbinden rein strategische Beziehungen, seien sie geschäftlicher oder kriegerischer Natur, und diese können sich rasant verändern. Wenn Bomben auf Raqqua in Syrien geworfen werden, eine Stadt in besetztem feindlichen Gebiet, dann werden angeblich nicht Bomben auf irgendwen in einer Stadt wie jeder anderen geworfen, nein, dann ist das ein gezielter Luftschlag gegen Islamisten. Die Macht der Worte bringt unterschiedlichste Individuen unter einen Hut und stülpt die Kategorie des Gegners über sie – Terroristen! Islamisten! – und rechtfertigt im nächsten Augenblick jegliche Gewalt gegen diese mit dem eigenen Terrorapparat, bestehend aus Soldaten und Bomben, Richtern und Gesetzen, Politikern und Befehlen, Industrie und Profit, Armut und Knast.

Jeder gegen jeden oder alle gegen einen?

In der Logik des Krieges ist wenig Platz für Konflikte, die aus mehr als zwei Partei bestehen. Egal ob Orient vs. Okzident, aufgeklärter Westen vs. mittelalterlicher Islamismus, Sunniten vs. Schiiten, Iran vs. Saudi-Arabien, Bürger vs. Terroristen, Revolution vs. Reaktion oder auch Wirtschafts-Migranten vs. Kriegs-Flüchtlinge etc…. Überall werden uns vereinfachte, duale Kategorien angeboten, die die Realität der Konflikte verschleiern. In den vergangenen fünf Jahren des blutigen Bürgerkriegs in Syrien, in dem Hunderttausende Menschen ihr Leben ließen, interessierten sich weder die nun kriegsführenden westlichen Parteien noch Assad für den IS. Die Revolution, die im Laufe des arabischen Frühlings mit den Worten „Brot, Freiheit, Würde“ begann, wurde und wird durch den Mehr-Fronten-Krieg gegen Assad und den IS erstickt. Nun, da der IS auch im Westen zuschlägt, fragt niemand, wie er so groß werden konnte… woher die Waffen der IS-Kämpfer kommen, wer das Öl ihrer riesigen Ölfelder raffiniert und kauft, wie neue IS-Rekruten ungestört über die Türkei einreisen können, oder ob in den Ländern der mit dem Westen verbündeten arabischen Kriegspartner nicht auch die Scharia regiert und ähnlich rigoros gegen alles anders denkende, gläubige, handelnde oder liebende umgesetzt wird?

Keine der kriegführenden Parteien hat ein wirkliches Interesse an der Zerstörung des IS. Sobald etwas zum absolut Bösen erkoren wurde, sobald etwas im Scheinwerferlicht steht, wird viel Schatten geworfen, gelten die bösen Tyrannen von Gestern wieder als Verhandlungs- und Geschäftspartner. Der Westen kämpft gegen Kinder aus dem eigenen Schoß, gegen frustrierte Gotteskrieger europäischer Großstädte ohne Hoffnung und Zukunft, gegen in vergangenen Kriegen mit Waffen ausgestattete Islamisten (Al-Quaida-Abspaltungen), gegen den durch die eigenen Bomben und Gewehrläufe angerichteten Hass und Vergeltungsgelüste, gegen ein Machtvakuum, welches der IS füllen konnte, da er in einer unvorstellbar von Kriegen und Krisen zerrütteten Region eine zynische Sicherheit und klare Ordnung darstellt… auch wir wissen nicht genau, was vor Ort geschieht, welche Kriegs- und welche Oppositionspartei welches Ziel verfolgt. Wo wir uns allerdings sicher sein können, ist dass das Überschwemmen eines Konflikts mit Waffen und staatlichen Akteuren die ungehemmte Repression gegenüber jeglicher freiheitlicher Idee und das im Blut-Ertränken jeder Rebellion ist.

Deutschland zieht in den Krieg…

… und es zeigt sich wieder einmal, dass die Kontrolle von Menschenmassen die oberste Priorität der Staatengemeinschaft ist.

Wer sich damit begnügen will, sich im gemütlichen Heim mit der medialen Kriegs- und Bundeswehr-Propaganda einlullen zu lassen oder gar seine Stimme für die Zivilisation oder den Frieden zu erheben, nur zu! Mit der territorialen Begrenzung eines sozialen Konfliktes in dem es an der Wurzel darum geht, welche Rolle wir Religionen und Staaten, sowie Herrschaft und Freiheit im Allgemeinen in unserem Leben einräumen, ist den kriegsführenden Parteien der größte Gefallen getan. Die Kriegsfabriken und -labore, die Rekruten-Mobilisierung und -ausbildung, die Schulen des Gehorsams und der Disziplin, sowie die Propagandisten des kollektiven „Wir“, kurz, der Stoff aus dem ein Krieg gemacht ist, befinden sich an der Heimatfront. Krieg beginnt hier, hier kann er sabotiert werden. Der Kampf gegen die Militarisierung der Gesellschaft, der Straßen und Grenzen – gegen die Militarisierung unserer Leben – bedarf keiner Befehlsketten und disziplinierten Truppenformationen, sondern nur autonomer Individuen mit eigenen Ideen und Plänen.

Weder Staat noch Nation,

weder Kalifat noch Religion,

Revolte, Freiheit, soziale Revolution!