Tausend Nadelstiche

Über die Brandstiftung an einer Funkantenne in Zürich und die individuelle Aktion

„Natürlich ist die Welt, wie sie heute ist, beschissen, aber was soll ich als einzelne Person schon dagegen tun?“, ein beliebter Ausspruch, vor allem von Leuten, die sich danach wieder auf die Couch zurückfallen lassen, oder – die Zigarette weg schnipsend – zurück in die Kneipe gehen um das nächste Bier zu bestellen.

Dieses Argument baut darauf, dass es unzählige Leute bräuchte um etwas zu verändern, dass wir (wer auch immer das ist) zuerst die Mehrheit werden müssten, um etwas tun zu können. Das ist die Illusion der Politik, das ist der Vorwand den viele Leute nutzen um ihre Untätigkeit zu rechtfertigen. Dabei geht es darum anzuerkennen, dass alles was in unserer Macht steht, unsere individuellen Akte sind. Nur das, was wir selber machen, können wir beeinflussen. Was der Rest treibt, was die Masse macht, ist nicht unsere Sache. Das, was eine Person machen kann, kann einem als sehr wenig vorkommen, aber gleichzeitig ist es alles was wir haben und in ihr steckt das größtmögliche Potenzial unseres Daseins. Jede unserer Handlungen hat eine Auswirkung auf unsere soziale Umwelt (das nicht-Handeln ist auch eine Handlung und begünstigt das nicht-Handeln von Anderen). Die individuelle Aktion, auf die ich gleich zu sprechen kommen werde, mag dabei vielleicht wie etwas sehr krasses klingen, aber es geht nicht darum zu sagen, dass manche Aktionen wichtiger sind als andere, nur weil sie mehr Schaden anrichten. Es ist natürlich so, dass es Unterschiede gibt, manche Aktionen betreffen tausende Menschen, andere vielleicht nur einige wenige, aber das macht die eine nicht besser als die andere, es sind schlicht verschiedene Handlungen mit verschiedenen Auswirkungen, die in der jeweiligen Situation genau die richtige Entscheidung sein können – zumindest nämlich die, zu handeln, anstatt nicht zu handeln.

Mitte Juli 2016 wurden die Kabel am Fuß eines Funkmastes der Züricher Stadtpolizei in Brand gesetzt. Die Kabel brannten ab und zusätzlich zu einigen Hunderttausend Franken Schaden war die Antenne für einige Tage außer Betrieb. Bei dem Funkmast handelte es sich um eine Notfunkantenne der Stadtpolizei. Am Tag nach der Sabotage kam es zu mehreren Hausdurchsuchungen in der Schweiz, die Bullen waren auf der Suche nach einer „dringen tatverdächtigen Person“, konnten diese aber nirgendwo auffinden. Daraufhin wurde ein internationaler Haftbefehl auf diesen anarchistischen Gefährten ausgestellt, er konnte sich jedoch bis jetzt den Klauen des Staates entziehen und ist ihnen noch nicht ins Netz gegangen. Die in Brand gesetzte Antenne war Teil der kritischen Infrastruktur der Polizei und zeigt wie verletzlich und angreifbar so scheinbar übermächtige Institutionen wie die Polizei sind. Oder, wie es anarchistische Gefährten aus Zürich ausdrückten: „die zahlenmäßige Überlegenheit, sowie diejenige in puncto Waffen, zählt nicht viel gegenüber der Intelligenz und praktischen Begabung des Menschen. Ein paar Kabel, die am richtigen Ort und im richtigen Moment von einer einzelnen Person angezündet werden können, haben das Potenzial eine ganze Armee ins Chaos zu stürzen“. Das zeigt, wie viel eine individuelle Aktion ausrichten kann, wenn sie überlegt vorbereitet und geplant wird. Aber es geht nicht darum, nur solche – im Verhältnis zu anderen Aktionen – aufwendigen Aktionen zu machen. Sondern gerade die Kombination aus verschiedenen Handlungen von verschiedenen Personen, die in ihrem täglichen Leben gegen Macht und Unterdrückung agieren, ist das spannende. Tausende kleinere und größere Nadelstiche – sei es das Abreißen von Wahlplakaten oder das Abfackeln von Funkantennen der Polizei –, das ist was der Macht wirklich weh tut. Schließen möchte ich mit einigen Worten des anarchistischen Gefährten aus dem Untergrund: „Natürlich ist es wichtig, dieser Maschinerie Sand ins Getriebe zu schütten, jedoch die Fragen wann, wo, wie, mit wem und mit welchem Effekt, sind es genauso.“

In diesem Sinne, dem Gefährten auf der Flucht alle Kraft der Welt, wo auch immer er sich befindet.