Nur einen Steinwurf entfernt

Von Palästen der Macht…
Einen Tag lang drang es durch die bürgerliche Presse in fettgedruckten Buchstaben zu uns durch, bevor auch diese Nachricht wie so oft in der Kurzlebigkeit der Medienlandschaft versank: Ab 2018 wird an der Marsstraße in Neuhausen, keine 2km vom Justizzentrum entfernt, auch ein neues Finanzamt gebaut.  Nicht irgendein Finanzamt, das „größte und effizienteste Finanzamt Europas“, wie es der Finanzminister schon jetzt rühmt. Größe und Effizienz um die finanziellen Beiträge der Staatsbürger bzw. -diener zu verwalten, denn das Finanzamt ist dafür zuständig dass du jeden Monat brav dein Sümmchen an Steuern abdrückst und dabei alles mit rechten Dingen zugeht. Mit 234Mio € aus diesen Steuergeldern soll, abgesegnet durch das Finanzministerium, bald der Bau des Justizzentrums finanziert werden, in dem künftig mit noch mehr Größe und Effizienz die Dienerschaft selbst verwaltet, erhalten und gesichert wird.  Durch das Verurteilen und Wegsperren derjenigen, die sich weder für die eigene Dienerschaft begeistern  können, noch zu deren stillschweigender, ängstlicher Akzeptanz bereit sind aber auch schon durch die bloße allgegenwärtige Drohung der Strafe. Beider Orts Größe und Effizienz um Arbeitsabläufe schneller reibungsloser und sicherer über die Bühne bringen zu können, die zur Verwaltung und Aufrechterhaltung des Bestehenden notwendig sind. Größe und Effizienz um das Ineinandergreifen der menschlichen Rädchen zu perfektionieren (beziehungsweise den Transport der rostigen zu ihrer Verurteilung), die für diese Abläufe geölt laufen sollen ohne dies auch nur bewusst wahrzunehmen, so wie wir alle ständig gehüllt in den Schleier der angeblichen Individualität und der zahlreichen (Wahl-)Freiheiten, die in diesem System gewährt werden. Mit der Zentralisierung in riesigen Komplexen wird die Unfähigkeit des Menschen kompensiert, mit dem Tempo Schritt zu halten, nach dem in einer digitalisierten Welt alles schreit. Solche Großprojekte, deren Entstehung wir immer häufiger wahrnehmen, werden zu Vorzeigemodellen der Macht bei der Demonstration der eigenen Fortschrittlichkeit mit denen sie sich brüstet und sind gleichzeitig die Faust (bzw. Hammer) auf den (Richter-)tisch, die uns ein Gefühl der Unangreifbarkeit der Macht vermitteln soll. Die Illusion eines (Justiz-)zentrums, das sich einzig in diesem Gebäude manifestiert, will uns die zahlreichen Abhängigkeiten und Verantwortlichen vergessen machen, die an dieser Struktur beteiligt sind und mit ihnen die Möglichkeiten, sie direkt und selbstbestimmt anzugreifen um dieses Machtprojekt als solches zu gefährden.

Von Umstrukturierungen unserer Ausbeutung…
Im Bereich der Produktion wird die Stabilität des Bestehenden hingegen durch die umgekehrte Tendenz, durch die Dezentralisierung der Produktionsprozesse und eine Aufgliederung in immer kleinere Arbeitseinheiten sichergestellt. Wegen des Konfliktpotenzials, das sie bargen, weil sich dort viele Menschen unter den gleichen Ausbeutungsbedingungen fanden und einen geteilten Hass gegen diese entwickelten wurden und werden große Fabrikkomplexe aufgelöst. Dieses Potenzial ist wohl bei denen, die in einem Finanzamt oder Justizzentrum arbeiten, relativ gering einzuschätzen, deren Grad an Identifikation mit dem Bestehenden und der eigenen Rolle darin lässt nicht gerade die Befürchtung aufkommen, ihre Schreibtische würden zu Explosionsherden der Wut werden… nun ja, zumindest nicht ihrer eigenen. Während sich für die „Verwaltungsarbeiten“, die in diesen Zentren verrichtet werden, eine räumliche Distanz offensichtlich als behindernd herausgestellt hat,  ist durch den technologische Fortschritt die örtliche Nähe  der einzelnen Produktionsschritte mehr und mehr überflüssig geworden. Heute wird von den Arbeitenden, zunehmend Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an sich rasch ändernde Arbeitsbedingungen,, z.B. auch Arbeitsplatzwechsel, gefordert. Dabei finden Arbeitsschritte,ausgelagert aus der Zentralität in der Fabrik,  isolierter und vereinzelter statt, die Arbeitenden sollen dies als Individualisierung ihrer Arbeit begreifen. So wird die Identifikation mit dem Unternehmen vorangetrieben, dass die „Chance“ gibt, die eigene Ausbeutung „individuell zu gestalten“ –sofern sich nur niemand gegen die Ausbeutung selbst auflehnt und alle den Anforderungen des Betriebs gerecht werden. Dabei nimmt die Entfremdung vom Produkt der Arbeit immer weiter zu weil keine Person, die an dessen Herstellung beteiligt war, sich mehr wirklich über seinen Zweck und seine Auswirkungen im Klaren ist, sondern nur noch eins der Einzelteile kennt, die irgendwo auf der Welt irgendwer anders zusammenschraubt, sich wahrscheinlich genauso wenig bewusst machend, was dabei herauskommt.

Von Netzen der Kontrolle…
Müssen diese Einzelteile aber noch per Flugzeug zu ihrer Weiterverarbeitung um den Globus geschickt werden, findet der Transfer von Daten, Dienstleistungen und Geldbeträgen virtualisiert, quasi per Klick statt. (Wirtschaftliche) Abläufe sind nicht mehr an feste Orte gebunden dafür aber von jedem Ort aus überwachbar. Und nicht nur diese. Die Digitalisierung ermöglichte es der Macht und ihrer Wächter, sich auf ganzer Ebene zu verbreiten, ein Netz zu spannen, das mit Augen und Ohren noch ins letzte Hinterzimmer vordringt. Doch statt der wohl eher angebrachten tiefen Verachtung scheinen viele nur staunende Bewunderung für die Technologien übrig zu haben, die sich der lästigen menschlichen Hindernisse (eine gewisse Ortsgebundenheit ist nur eines von vielen Beispielen) immer weiter entledigen. Bewunderung dafür, dass die Computer und Handys zu unserer Überwachung  jetzt per W-Lan und Funk beitragen und dabei – wie großartig – immer weniger Raum in Anspruch nehmen? So wie die 7400 Handys, mit Hilfe derer Daten die Bullen noch Monate nach dem in den Medien spektakularisierten „Isarmord“ herausfinden konnten, welche Handynutzer sich zum Tatzeitpunkt in der Nähe aufhielten und u.a. auf Grund dieser Daten 4500 Personen zur DNA-Abgabe vorluden. (DNAs, die natürlich nur zur Klärung des Mordes verwendet werden …)  So wie Handys,  mit deren Hilfe sie die auch Monate später noch wissen werden, welche Handynutzer in der Nähe waren, wenn mal einem Verantwortlichen fürs Justizzentrum oder Finanzamt was zustoßen sollte, eine Baustelle sabotiert werden sollte oder ein paar Handymasten lahmgelegt werden sollten.

Lassen wir uns nicht verarschen…
Vom Handy bis zum – damit ja inzwischen meist zugänglichen –Internet preisen einige „alternativ Bewegungen“ ebenso lautstark wie die Medien die Möglichkeiten, die „uns“ diese Erfindungen bieten, sogar bei der Verbreitung von Revolten und sehen in der Dezentralisierung eine positive „Gegentendenz“ zur Zentralisierung.  Ich frage mich dagegen durch wen all diese Entwicklungen angestoßen werden und wem sie nutzen. Dezentralisierungs- wie Zentralisierungstendenzen und der gesamte technologische  Apparat funktionieren nach der Logik der Herrschaft, sind von ihr gewollt und damit gegen mich gerichtet. Sie sind nicht dazu gedacht und werden nie zu meiner Befreiung beitragen sondern im Gegenteil immer der Verfestigung der bestehenden Verhältnisse – mit höchstens ein paar „Schönheitskorrekturen“ – dienen. Sinn und Zweck hinter der Zentralisierung wie der Dezentralisierung bestimmter Machtstrukturen bleibt es stets, Abläufe effizienter zu gestalten, Konfliktpotential wenn möglich auszulöschen oder wenigstens zu minimieren und so die bestehenden Verhältnisse zu stabilisieren.
All die Möglichkeiten, die unsere Unterdrücker haben, all die, die täglich dazu kommen, ziehen in einem Schwall von anderen Informationen ertränkt fast unbemerkt vorbei, sofern wir überhaupt von ihnen erfahren. So soll vermieden werden dass wir selbst den noch so offensichtlichen Angriff gegen uns als solchen identifizieren und zum Gegenangriff übergehen. Stattdessen sollen wir das Fortschreiten der eigenen Kontrollierbarkeit noch bejubeln. „Ihre Perfektion und Vollständigkeit hat die Freiheitsberaubung dadurch erreicht, dass sie uns auch der Fähigkeit beraubt hat, sie als Freiheitsberaubung zu erkennen, bzw. ihren Druck als Druck auch nur zu spüren […] Wenn wir heute „geschlagene Menschen“ sind, so nicht deshalb, weil wir Schläge zu spüren bekämen, sondern umgekehrt deshalb, weil wir die Schläge, die uns treffen, nicht spüren,  weil sogar unsere Schmerzempfindlichkeit erschlagen ist.“ Die Entwürfe für´s Finanzamt sind bereits abgesegnet, „Straf- und Justizzentrum  (geplant)“ lautet es bereits auf den Umgebungskarten in der Nähe des Leonrodplatzes, die Handydaten sind bereits ausgewertet, die DNAs bereits genommen, dieses Mal noch „freiwillig“ (aber wer will sich schon verdächtig machen) und wen stört es auch schon groß wenn der Staat sie sammelt, im Namen der Gerechtigkeit, der Wahrheit und unserer Sicherheit? Wen sollte es stören, wenn riesige Zentren zu unserer Verwaltung und – wenn das nicht richtig funktioniert – Verurteilung und unserer sicheren Verwahrung errichtet werden? Wenn wir in jedem Moment sich bewegende Punkte auf einer digitalen Karte vor der Nase unserer Feinde sind? Nun, mich stört es gewaltig.
Für das ohnehin schon schicke Neuhausen bedeutet der Bau dieser beiden Paläste natürlich zusätzlich zu den wie Pilze aus dem Boden schießenden Luxuswohnanlagen noch weitere Aufwertung, Verdrängung derer, die nicht in das Bild von Sicherheit, Ordnung, und „Größe und Effizienz“ passen, mehr Kameras, Kontrollen und der Macht dienende Infrastruktur. Aber die Auswirkungen von Finanzamt, Justizzentrum und den mit ihnen verbundenen Prozessen betreffen eben nur diejenigen, denen sie in die direkte Nachbarschaft gepflanzt werden. Wir sind alle Verdächtige oder in der Rolle des braven Bürgers gefangen und können uns der Einmischungen der Autoritäten in unsere Leben ebenso wenig entziehen wie der Allgegenwart der technologischen Apparats.
…sondern jagen sie in die Luft!
Aber dass die Macht versucht sich immer mehr zu perfektionieren, auszuweiten und ihre wunden Stellen zu verbergen bedeutet aber auch eines: Sie ist nicht perfekt, sie ist nicht allgegenwärtig und sie hat wunde Stellen. Es gilt, diese ausfindig zu machen. Wenn sich Machtstrukturen dezentralisieren können wir versuchen uns ihre damit einhergehende schwerere Kontrollierbarkeit zu Nutze zu machen, zum Beispiel in dem Kommunikations- und Energienetzwerke lahmgelegt werden können, die an einer so vielen Stellen wie Masten aus der Erde ragen, dass sie nicht allzeit überwachbar sind. Wenn Machtstrukturen teilweise zentralisiert werden, können wir lernen, uns die damit einhergehende größere Offensichtlichkeit ihrer Widerwärtigkeit zu Nutze zu machen um sie bloßzustellen und gleichzeitig ihre Abhängigkeiten und Verflechtungen herauszustellen um sie verwundbarer zu machen. An jedem Knast, an jeder Schule, an jedem Arbeitsamt, am neuen Finanzamt und am Justizzentrum sind viele Personen und Institutionen beteiligt (abgesehen davon das auch z.B. während eines riesigen Stromausfalls weder gebaut noch verurteilt werden kann). Ist der Kraken auch noch so fett, gezielte Angriffe auf seine Tentakeln werden ihn dennoch schwächen und wenn diese sich häufen…