Münchner G`schichten: Der Ziegelbrenner II

„Von den dreien: Staat, Regierung und Ich, bin Ich der Stärkste. Das merkt Euch!“

Zwischen 1917 und 1921 erschienen in München 14 anarchistische Hefte mit dem Titel „Der Ziegelbrenner“. Diese ziegelroten Pamphlete, die eine Person unter dem Pseudonym Ret Marut veröffentlichte, durchlebten in diesen Jahren tiefe politische und soziale Umwälzungen: Die ersten Ausgaben erscheinen unter Zensur zur Spätphase des ersten Weltkrieges und üben sich so in erster Linie in scharfe Kritik an Krieg und Kapitalismus, wovon auch die „Münchner G’schichten“ aus der Fernweh Nr. 9 erzählt. Ab dem November 1919 durchlebt „Der Ziegelbrenner“ eine revolutionäre Phase und die Gründung und Niederschlagung der Münchner Räterepublik. Während dieser kurzen Zeitspanne erscheint der Ziegelbrenner ohne Verbot und Zensur und in kurzen Abständen. Ret Marut war in der Räterepublik aktiv beteiligt und versuchte währenddessen durch die Ausgaben seiner Zeitung  zu provozieren und Denkanstöße zu geben. Durch die Zerschlagung der Räterepublik wurde Marut jedoch festgenommen, allerdings konnte er fliehen. Von nun an, ab der Frühphase der Weimarer Republik, erscheint der Ziegelbrenner bis zu seiner Enstellung 1921 illegal. Danach verschwand mit dem Ziegelbrenner auch das Pseudonym Ret Marut.
Später äußerte als erstes Erich Mühsam die Vermutung, dass hinter den beiden Decknamen Ret Marut und dem weltbekannten Schriftsteller B. Traven die gleiche Person stecke. Bis heute beschäftigen sich Forscher mit diesem Rätsel. Ich ziehe es allerdings vor dieser Person den Gefallen zu leisten namenlos zu verweilen, da sie doch offensichtlich um ihre Anonymität bemüht war.
Neben Parteien, insbesondere der sozialdemokratischen und ihrer offensichtlichen Nachfolgerin, der kommunistischen, deren Mitglieder in Maruts Augen nur „sozialdemokratische Gewerkschaftsbeamte“ sind, und neben Demokratie und Parlamentarismus, kann die Presse wohl als Hauptfeind des Ziegelbrenners angesehen werden. 1919 schreit Marut befreit von den Schranken der Zensur den tiefsitzenden Hass gegen eben dieser hinaus: „Mehr als fünfzig Monate bin ich in der schamlosesten Weise belogen und betrogen worden, von der Regierung, vom Kaiser, vom König, von meinen Nachbarn und von der verlumptesten Institution, die sich auf Erden befindet: Die Presse. (…) Presse! Alles will ich mit Dir machen, Presse, wenn ich das Geld habe. Denn es gibt auf dieser Erde keine Schandtat, zu der Du nicht zu gebrauchen wärest; es gibt auf dieser Erbe kein noch so großes Verbrechen, an dem Du, Presse Dich nicht beteiligen würdest. Heute, Du stinkenbes Aas, lästerst Du Gott, morgen betest Du ihn an. Am 27. Januar dieses Jahres war der Kaiser in Deinen faulenden Spalten „ein Herrscher, der mit seinem Volke für ewige Zeiten unauflöslich fest zusammengeschmiedet” ist und im Oktober desselben Jahres peitschtest Du, gesinnungslose Hure, ihn zum Hause hinaus und gossest Deine Jauche auf seinen Kadaver. Für Geld. Wer Dich bezahlt, dem dienst Du. Und wer dem Journalisten das Monatsgehalt auszahlt, dessen Meinung teilt er mir so mit, als wäre es seine eigene Meinung. Und dann sagt dieser Zuhälter noch, es sei die „öffentliche Meinung”. (…) Tut es, Ihr Menschen: Beginnt endlich einmal damit, Euch vor her Presse zu ekeln, schmeißt sie aus Eurem Heim, stampft sie unter Eure Füße. Ihr habt die Macht, die Presse zu vernichten! Benützt Diese Macht und Ihr seid vom häßlichsten und schwersten Alpdruck befreit, der auf Euch lastet!“ Im Gegensatz zur Presse steht Marut unabhängig und unkäuflich ganz auf sich gestellt da: „Ich gehöre keiner Partei, keiner politischen Vereinigung an, welcher Art sie auch immer sei; weil weder Parteien noch Programme, weil weder Proklamationen noch Versammlungsbeschlüsse mich vor dem Welt-Unglück beschützen konnten. Ich kann keiner Partei angehören, weil ich in jeder Partei-Zugehörigkeit eine Beschränkung meiner persönlichen Freiheit erblicke, weil die Verpflichtung auf ein Partei-Programm mir die Möglichkeit nimmt, mich zu dem zu entwickeln, was mir als das höchste und das edelste Ziel auf Erden gilt: Mensch sein zu dürfen! Nichts anderes will ich sein als Mensch, nichts als Mensch.“ Deswegen agitiert er auch gegen die Wahlen und die Nationalversammlung und schreibt später einmal: „Demokratie ist Mehrheit, Mehrheit ist Herrschaft. Die Mehrheit ist das Gewand, unter dem der Nicht- Mensch den Dolch verborgen hält. Mehrheit ist die Hirnzelle derer, die nicht zu denken vermögen. Mehrheit ist das Szepter der Betrüger und Halunken. Abstimmung ist beabsichtigter Betrug, weil der Niedergestimmte im Recht ist. Abstimmung und Mehrheit sind die blutrünstigen Henker des Menschen.“ Den Kommunisten, die nur den Staat erobern wollen und letztendlich die Nachfolger der Sozialdemokraten sind, hält er vor: „wenn der Mensch erst einmal die Erkenntnis gewinnt, daß er auch ohne Staat satt werden kann – und er kann es -, dann wird er fragen.: Wozu denn eigentlich einen Staat? Das Verbrechen meiner Zeit: Alles vom Staate zu erhoffen, alles durch den Staat zu erringen. O Ihr Kleingläubigen. Ihr Betrogenen, Ihr Jammerlappen, zerfetzt den Staat und Ihr seid reich und Ihr seid Menschen! Der Staat ist ein Phantom, der Einzelne aber, der Mensch ist das Höchste. Der Mensch ist sich selber genug. Der Staat frißt den Menschen, ich aber will den Menschen errichten.“ Das heißt für Marut auch: „Das zusammenbrechende Wirtschaftsleben vollends zu Grunde richten, ihm jegliche Möglichkeit nehmen, sich jemals wieder zu erheben. Nicht einmal eine schwache Erinnerung an das blühende Wirtschaftsleben darf der Menschheit bleiben.“ Zu späteren Zeitpunkt wird er in diesem Punkt noch deutlicher: „Die Staubwolken einer vollständig zertrümmerten Industrie allein zerbrechen deine Ketten. Flicke nicht, was zerreißen muß!
Halt nicht fest, was zusammenbrechen muß! In der Industrie willst du deine Ketten von dir streifen? Mit dem blühenden Wirtschaftsleben willst du deinen Gegner niederringen? Sagte ich es nicht, daß du ein Bürger bist, weil du wie ein Bürger denkst? Die Sache des Bürgers kann nie die deine sein! Die Industrie, die dem Bürger Macht gab, dich zu knechten, kann dir nie Freiheit oder Leben bringen. Die Industrie, die ist, kann nie die Gleiche sein, der du bedarfst. Die Industrie, die ist, bringt nichts anderes hervor als Waffen, dich zu knechten.“
Auf diesem Weg sieht er die Räterepublik als einen möglichen Versuch, den er über die Jahre hinweg immer kritischer reflektiert. „Die Räte-Republik ist nicht das Ende aller Dinge, noch weniger bedeutet sie die vollkommenste Form menschlichen Zusammenlebens. Für die Neugestaltung der Kultur aber ist die Räte-Republik eine Vorbedingung; sie ermöglicht die Liquidation des Staates.“ Für ihn ist eine Revolution keine Sache, die von dem einen auf den anderen Tag erledigt ist: „Revolution ist eine Tat; und wenn man mich fragt, wieviel haben wir daran verdient, so ist sie keine Tat mehr, sondern ein Geschäft. Das höchste aber ist die Idee, der Gedanke; denn die Tat wird daraus geboren. Aber was Ihr Revolution nennt,.das ist keine Tat sondern ein Ergebnis.“  Für Marut zählt das hier und jetzt: „Dein Parteibuch macht dich zum Verführten, zum Angeführten. Darum ist es besser, du läßt dein Geld von den Würmern zerfressen, als daß du es deiner Partei gibst, denn die Partei vertröstet dich auf die Zukunft, auf das Wohlergehen deiner Enkel. Das aber tut die Kirche auch, die dich auf das Himmelreich vertröstet. Zukunft und Himmelreich ist das Gleiche. Sie können schön sein, vielleicht. Überlaß die Zukunft
ruhig der Partei und das Himmelreich der Kirche. Dein aber sei die Gegenwart! Nimm sie dir. Wäre die Zukunft besser und das Himmelreich schöner, so würden die guten Leute sie dir nicht für deine Groschen verkaufen wollen. (…) Weihrauch in der Kirche und Geschwätz in den Versammlungen ist dasselbe. Eine Zeitung lesen oder gar bezahlen und Kirchenlieder auswendig lernen führt zum gleichen Ziel. Kein Gott wird dir helfen, kein Programm, keine Partei, kein Führer, kein Stimmzettel, keine Masse, keine Einigkeit. Nur ich selber kann mir helfen. Und in mir selber werde ich allen Menschen helfen, deren Tränen fließen. Ich helfe mir. Hilf du dir, Bruder! Handle! Sei Wollen! Sei Tat!“