Diskussion

Jemand schrieb uns als Antwort auf die Fernweh Ausgabe Nr. 12, dass er sich freue, dass wir dem Verfall des geschichtlichen Denkens etwas entgegensetzen und fragt daraufhin, in Bezug auf einen Artikel, der den direkten und zerstörerischen Angriff gegen unterdrückerische Strukturen, Institutionen und Personen als Möglichkeit die Normalität zu durchbrechen, sich sein Leben anzueignen und seine Wut und Ideen zu kommunizieren, vorschlägt, ob es für einen Angriff nicht zu verfrüht ist und fährt fort: „Sollte man nicht auf einen qualitativen Umsturzversuch hin tätig werden, anstatt seine Energie mit verpuffenden direkten Aktionen, im Miniatur-Maßstab, zu vergeuden? Man kann das natürlich niemanden untersagen und dann die Ungeduld, die dazu neigen kann die Vernunft zu überwältigen…“

 

Um uns klar und unmissverständlich auszudrücken: Für uns ist die Frage des Angriffs keine strategische oder taktische Frage, sondern eine Frage der Würde. Die einzige Möglichkeit sich diese auf eigene und selbstbestimmte Weise zurückzuerobern und sich gegen diese uns Tag für Tag auf erniedrigende Art auf Zahlen, Sachwerte und Leistungserbringer reduzierende Welt zu wehren, ist in die Offensive zu gehen, eigene Ideen zu spinnen und Mittel zu suchen, wie Angriffe umgesetzt werden können, die den eigenen Feindseligkeiten entsprechen. Alle, die diese Notwendigkeit der zerstörerischen Rebellion relativieren – sei es aus organisatorischen, ethischen oder politischen Gründen – geben sich Stück für Stück mit der Realität und ihrer eigenen Unterdrückung zufrieden, geben dieser eine Daseinsberechtigung für das hier und jetzt und gestehen sich so ein, dass sie die existierenden Herrschaftsverhältnisse ja nun doch – zumindest momentan – erdulden können. Alle, die von herrschaftsfreien und revolutionären Perspektiven sprechen und es sich nicht selbst zur Aufgabe machen, die dafür nötigen Bestrebungen selbst in der eigenen Lebensrealität und in den eigenen Beziehungen umzusetzen und Hand anzulegen, machen sich zu Meisterschwätzern, die das Wort von der Tat und so von Inhalt und Aufrichtigkeit trennen, zu politischen Führern, die erwarten, dass Andere ihren Worten Folge leisten. Anstatt uns dem politischen Realismus hinzugeben, der verkündet, dass jegliche realistische Perspektive nur in Stück-für-Stück Reformen innerhalb des Systems zu erlangen sei, fragen wir uns, wie die Leute angesichts einer in sich zusammenbrechenden und sich die eigenen Existenzgrundlagen zerstörenden Welt realistisch bleiben können anstatt das Unmögliche zu wagen. Wie kann man sich den Erniedrigungen der Arbeitswelt mit Hinblick auf eine dicke Rente hingeben, wenn es doch relativ unwahrscheinlich scheint, dass angesichts der momentanen globalen sozialen und politischen Veränderungen die Welt beim Erreichen des Rentenalters noch der heutigen ähneln wird? Ohne in Spekulationen oder Schwarzmalereien zu geraten, scheint es uns recht offensichtlich, dass die Menschheit irgendwann ihre Quittung für die Zerstörung des Planeten bekommen wird, dass eines der etlichen sozialen Pulverfässer explodieren wird und die Fundamente der bestehenden sozialen Ordnung ins Wanken bringen wird, dass die rasante Entwicklung der neuen Technologien und deren Vordringen in jeden Aspekt des Lebens die Entfremdung des Menschen von der Realität so weit voran treiben wird, dass dies zweifelsohne drastische Schäden hinterlassen wird. Wenn wir den Blick über den Tellerrand heben, dann entbranden sekündlich auf diesem Globus individuelle und kollektive Rebellionen, Aufstände und Angriffe auf die Strukturen der Herrschaft, Akte aus denen sowohl Verzweiflung und Perspektivlosigkeit, als auch Desillusioniertheit gegenüber den hohlen Versprechungen der Politik und ebenso die Hoffnung auf ein besseres Leben spricht. Die globalen Herrschaftsallianzen, die Regierungen, Industrien und Profiteure, antworten mit Kriegen, „Antiterrorismusaktionen“, Aufstandsbekämpfung und am laufenden Band produzierten technologischen Quantensprüngen und versuchen so ihre Vormachtstellungen zu sichern und jeden Schrei nach Freiheit in Blut zu ersticken oder in Gefängniszellen verhallen zu lassen. Wie kann man angesichts dieser abertausenden vom Kapitalismus Ermordeten und bezüglich der rasanten Entwicklungen in Richtung totalitären, technokratischen Polizeistaat die unbedingte, sofortige Notwendigkeit jetzt zu handeln und dieses System anzugreifen, bestreiten? Und wie sollten es viele werden, die diesen Weg einschlagen, wenn die wenigen, die sich ihrer Sache sicher sind, nicht vorangehen? Wie soll man sich erkennen und finden, die eigene Isolation verlassen und gemeinsam Pläne schmieden, wenn man sich nicht zeigt und bewegt, nicht schreit und handelt? Und darüber hinaus, wer sollte den richtigen Zeitpunkt für einen solchen „qualitativen Umsturzversuch“ bestimmen? Und was wäre überhaupt der richtige Zeitpunkt? Wenn sich alle Leute einig sind? Wenn das Elend und die Demütigungen noch ungeschminkter zu Tage treten?

 

Wir brauchen keine hinter uns stehenden Massen, keine Skandale oder Schicksalsschläge um unsere Revolte zu rechtfertigen. Weder sehen wir uns als Avantgarde, als auserwählte Vorhut der Massen, noch als ein Bild aus der Zukunft – denn egal ob wir alleine oder zu Vielen kämpfen, sind wir keine Vorkämpfer für die Interessen und Ziele Anderer, sondern schlichtweg einzelne Menschen, die den tagtäglichen Raub ihres Lebens nicht weiter ertragen wollen und keinerlei Geduld besitzen auf bessere Zeiten zu warten. Wir wissen, dass uns niemand zu diesem Leben verdammen kann, dass es keine aufgebürdete Last ist und wir jederzeit davon gehen könnten. Das ist genug Rechtfertigung um Alles vom Leben zu verlangen, um sich unbekannten Möglichkeiten zu öffnen und Alles zu wagen. Wir wollen niemanden eine Ideologie oder ein Bewusstsein aufzwängen, möglichst viele Gleichgesinnte finden oder diese Gesellschaft schrittweise verbessern. Erst der radikale Bruch, der Tanz auf den Ruinen des Existierenden verschafft uns die Freiheit nicht im ständigen Schatten des Status Quo denken, handeln und leben zu müssen. Doch ein Aufstand ist keine Sache eines einzigen überzeugten qualitativen Angriffs, sondern ein soziales Ereignis, welches sich aus etlichen unterschiedlichen und vielfältigen Initiativen und Ideen zusammensetzt. Jeder ist selbst dafür verantwortlich eigenständig, selbstbestimmt und kreativ zu handeln und diese Fähigkeiten können wir uns nur aneignen, wenn wir jetzt damit experimentieren. Und nur durch diese Experimente können wir andere inspirieren, sich ebenso selbst zu organisieren und zur Tat zu schreiten. So entsteht Qualität: In der durch Vielfalt und Eigeninitiative entstehenden Unkontrollierbarkeit, in den durch das Zusammenkommen unterschiedlicher kreativer Experimente entstehenden Widersprüchen und Bereicherungen. Und nur wer dazu bereit, gewillt und fähig ist sofort und selbstständig auf eigene Faust zu handeln, wird sich nicht von denen Mut und Motivation rauben lassen, die abermals den Thron der Macht erklimmen oder vielleicht verkünden werden, es sei noch nicht an der Zeit oder momentan unangemessen eben jene neuen Machthaber zu attackieren.

 

Und, da wir uns ja darüber einig sind nicht in Geschichtsvergessenheit geraten zu wollen, sollten wir uns daran erinnern, dass es immer diejenigen waren, die die Wut bei den Unterdrückten und Ausgebeuteten zurück halten wollten und die die Revoltierenden zur Besinnung ermahnten sowie die blinde Zerstörungswut zügelten oder anprangerten, die Angst davor hatten, dass von den Institutionen und Machtapparaten im Eifer des Aufstands nur Staub und Asche übrig bleiben könnte, obwohl sie diese doch eigentlich erobern, übernehmen und bewohnen wollten.

 

 

Für die unverzügliche Entfesselung der bösen Leidenschaften!