Münchner G’schichten: Der Geltendorfer Wholetrain

Man mag es kaum glauben, wenn man sich das Stadtbild Münchens heutzutage ansieht, doch München war in den 1980er Jahren eine der Graffiti-Hauptstädte Europas. Graffiti, wie wir es heute kennen, ist Ende der 1970er Jahre in New York entstanden, als Jugendliche aus den New Yorker Ghettos anfingen sich die Stadt zurückzuerobern und überall ihre Tags und Bilder zu hinterlassen. Diese Art der „kreativen Zerstörung“ hat sich heute über die gesamte Welt ausgebreitet, egal in welchem Land der Welt, Graffiti-Writer gibt es so gut wie überall. Nach Deutschland schwappte die Graffitiwelle 1983, noch im selben Jahr tauchten in München die ersten Bilder und massig Tags auf.

Langsam dehnte sich Graffiti über die Stadt aus, zuerst an Isarbrücken und versteckteren Plätzen bis schließlich 1984 der Writer Cheech das erste Bild auf eine S-Bahn in ganz Deutschland malte.

Ähnlich wie in New York waren die Autoritäten samt der Polizei im ersten Jahr komplett überfordert mit dem Phänomen und wussten nicht wie damit umzugehen. In der Öffentlichkeit wurde dem ganzem solange auch noch keine besondere Bedeutung zugemessen.

Das änderte sich schlagartig, als sich am 23. und 24. März 1985 verschiedene Crews und Graffitimaler zusammentaten um in Geltendorf den Geltendorfer Wholetrain zu malen. Ein von vorne bis hinten besprühter Zug machte ordentlich Furore in den Zeitungen Münchens. Die Bild titelte „Sprüh-Künstler beschmieren S-Bahn: Münchens längstes Gemälde“ und zitierte den Lokführer mit den Worten: „Das müssen Künstler gewesen sein, trotzdem ist’s eine Schweinerei, die auf Kosten der Steuerzahler geht.“

Die Ordnungskräfte, die natürlichen Feinde aller Sprüher_innen, konnten das selbstverständlich nicht auf sich sitzen lassen und so wurde in Folge des Geltendorfer Wholetrains die erste bundesdeutsche „Sonderkommission für Graffiti und Schmierschriften“ gegründet. Diese ermittelte gegen eine Wohngemeinschaft in der Nähe des Tatorts und suchte Teile der Sprüher als terroristische Vereinigung.

Womit wir wieder in der Gegenwart wären, heutzutage wo Sprüher von Bullen in den Tod gehetzt werden, Helikopter Jagd auf Graffitimaler machen und die DB bald Drohnen zur Graffitibekämpfung einsetzen will. Wenn man dann noch hört, dass Drohnen zur gezielten Tötung von Terroristen im Inneren entwickelt werden, kann man sich ja ausmalen, wo das hinführt. Das könnte jetzt die Frage aufwerfen, warum wegen so ein bisschen „Kunst“ oder „Vandalismus“ (je nach Standpunkt) so viel Aufhebens gemacht wird? Vielleicht, weil Graffiti eben nicht nur Kunst ist? Weil Graffiti auf Regeln und Gesetze scheißt und ganz praktisch das heilige Gut unserer Gesellschaft – das Eigentum – in Frage stellt? Weil Graffiti eben besonders in München, nicht in das Bild der sauberen und sicheren Stadt passt? Was auf jeden Fall zu München passt, sind die neuen U-Bahnen, die ab Ende des Jahres auf Münchens Schienen Rollen werden, eine Anschaffung die läppische 550 Mio. Euro kosten wird, aber nein, die Fahrpreise werden wegen den Vandalismus-Schäden (1,8 Mio. im Jahr) erhöht…

Was aber auf jeden Fall feststeht, ist dass die Farblawine, die damals losgetreten wurde bis heute rollt und auch trotz zunehmender Überwachung immer noch nicht gestoppt werden konnte.