Münchner G’schichten: Der Ziegelbrenner

 

Vor kurzem feierte ein schon fast vergessen geglaubtes unheilvolles Schreckgespenst sein großes Comeback auf Titelseiten und Rednerpulten: Der Krieg. So ist überall die Rede von einem drohenden Megakonflikt zwischen den altbekannten Supermächten, die redlich bemüht sind ihre Muskeln spielen zu lassen, Diplomaten inszenieren währenddessen an runden Tischen engagiert ihre friedfertigen Bemühungen und eine kleine Insel wird zum Spielball von Staaten auf der Suche nach mehr Macht und Anerkennung. Da es keine richtigen Antworten auf falsche Fragen gibt, möchten wir uns hier gar nicht in das Getratsche einmischen, welchem Staat denn nun was gehört und wie denn nun welche Sanktionen zu verhängen sein. Stattdessen zitieren wir hier einige Zeilen aus der ersten Ausgabe der Münchner Zeitschrift „Der Ziegelbrenner – Kritik an peinlichen Zuständen und an widerwärtigen Zeitgenossen“ vom 1. September 1917 in der der Anarchist Ret Marut eindringlich warnende Worte im Angesicht des ersten Weltkrieges formuliert. Auch wenn wir nicht alle (und deswegen hier auch nicht zitierten) Schlussfolgerungen Maruts teilen und wir knapp 100 Jahre später selbstredend in einer gänzlich anderen Situation stecken und einen weiteren Weltkrieg und einige Genozide später die allgemeine Kriegsbegeisterung und der Patriotismus auch nicht mehr ebenso ungehemmt hinausposaunt werden, scheint sich am Wesen des Krieges nichts verändert zu haben und dürfen die antiautoritären Kritiken der Feinde des Krieges nicht vergessen werden oder in Mottenkisten verstauben. In diesem Sinne werden wir uns in einer der nächsten „Münchner G’schichten“ noch einmal eingehender mit der Person Ret Maruts beschäftigen. Aber ganz nach dem Motto des Ziegelbrenners: „Vielleicht. Vielleicht auch später. Kann sein, schon früher. Je nachdem es notwendig sein sollte, neue Ziegeln zu brennen. Ein bestimmter Erscheinungs-Tag wird weder diesmal noch überhaupt jemals vorher festgesetzt. Eingehalten würde er doch nicht. Das Unheil, das durch die Zeitung angerichtet wird, rührt nicht zum geringsten Teil daher, dass alle Zeitungen und 99 % der Zeitschriften sich verpflichtet haben, auf die vorher festgesetzte Stunde zu erscheinen, ohne Rücksicht darauf, ob der verwendbare Stoff ihnen schon zur Verfügung steht oder nicht. Aber gefüllt muss die Zeitung werden, weil sie pünktlich erscheinen muss. Weil man muss. Aber wir müssen nicht und betrachten das als Vorteil, nicht als Nachteil.“

 

 

Ausschnitt aus dem Artikel „Wieder-Aufbau nicht – Neu-Aufbau“:

 

 

(…) Wer nur ein wenig tiefer schürft und sich von dem journalistischen Gefasel und von aller übrigen Denkfaulheit frei zu machen versteht, kommt bald darauf, daß die einzige Ursache dieses Massenunglücks das Geld ist. Schärfer ausgedrückt: Der Kapitalismus und die von ihm durch und durch verseuchte Weltanschauung. Begründung? Wer selbst nachdenkt, dem braucht es nicht begründet werden und wer nicht denkt, dem ist auch so nicht zu helfen. Der Kapitalismus ist es gewesen, der den Menschen eingeredet hat: Das Höchste des Lebenszieles ist Geld-Erwerb, weil Geld …. und hier könnte ich nun zwei dicke Bände anfügen, was man mit Geld und für Geld alles kann. Haben wir uns aber erst einmal zu der Auffassung bekannt, daß Geld das Erstrebenswerteste des Erdendaseins ist, so sind wir schon so in seinem Bann, daß uns alles, was nicht mit Geldgewinn zusammenhängt, nichtig erscheint, dagegen alles, was Geld bringt, für gut, für richtig und für vernünftig gehalten wird, sei es auch sonst das Niederträchtigste alles Handelns. (…) Denn man mag das’ Ding drehen und wenden, wie man will, aus allen Poren dieses Krieges quillt uns der Begriff „Geld” entgegen. Selbst die Ideale, für die gekämpft wird, sind streng und scharf betrachtet, letzten Endes nur verzauberte Geldbegriffe. Mehr hierüber zu sagen, verbieten die Zeitumstände, der Denkende bedarf dessen übrigens nicht. Eine Umwandlung dieser Begriffe über die wirklichen und wahrhaften Lebensziele und Lebensaufgaben der Menschen muß auch eine Umwandlung

 

und Beseitigung aller Folgen mit sich bringen, die dieser Zwangsbegriff hervorruft. Es wäre übertrieben zu sagen, daß eine solche Umwandlung den Menschen ungetrübtes Glück in den Schoß werfen muß. Glück ist rein individuell und hat mit Geld an sich nicht das Geringste zu tun. Aber der Kapitalismus in seiner jetzigen Gestalt muß immer zu Kriegen führen.(…)

 

Und so trotten diese Menschen ihr Leben dahin, tagein, tagaus, in öder Gleichförmigkeit, leben von der Hand in den Mund, haben keinerlei Aussicht, daß sich ihr Leben je anders gestalte. Ohne Unterlaß! Ein ganzes Leben lang! Und weil der Mensch ja kein Tier ist, so hat er Ideale und Sehnsucht nach Lebensverbreiterung, Lebensvertiefung, so hat er ein Verlangen nach Vermehrung seiner Lebensmöglichkeiten und seiner Lebensbilder. Aber alles, was ihm Erfüllung geben könnte, ist für ihn verschlossen. (…) Aber da kommt der Krieg und er wird mit brausendem Jubel begrüßt und mit weit geöffneten Armen empfangen. Denn er bietet ihnen alles, was sie nur an Abwechslungsreichtum und Lebensfülle jemals verlangt haben. Vor allem befreit er sie von dem langsam zermürbenden Joch des Alltags. Und der Schrei nach Krieg und für Krieg ist nichts als der Jubelschrei einer nach Licht und Erfüllung dürstenden Menschenmasse, die im Käfig lebendigen Leibes zu verfaulen droht oder glaubt, verfaulen zu müssen. Selbst der Gedanke an die gesteigerte Todesmöglichkeit kann den Jubelschrei einer gequälten und gemarterten Menschheit nicht

 

ersticken; denn selbst diese sechs oder sieben Tage, die ihnen sicher noch bleiben, füllen sich für sie

 

mit mehr Lebensreichtümern an, als die ganzen langen zwanzig, dreißig oder vierzig Jahre vorher es getan haben; abgesehen davon, daß ihnen der Tod noch um vieles willkommener erscheint als ein ferneres dumpfes und lichtloses Leben.”

 

Man verkenne diesen Umstand nicht, wenn man den Wert einer Kriegsbegeisterung richtig beurteilen und keine falschen Schlüsse auf etwaige Kriegswilligkeit ziehen will.(…) Die Zeitungshetzen allein tun es nicht, es müssen auch Menschen da sein, deren Sehnsucht nach Abwechslung und Abenteuerlust so stark geworden ist, daß sie sich gern verhetzen lassen. Es ist ganz und gar gegen die Natur des Menschen, sich dafür zu begeistern, Menschen abzuschlachten und selbst abgeschlachtet zu werden. (…) Sie hängen ihrer Abenteuerlust (dies Wort ist ungenau für das, was im Grunde gemeint ist) den Mantel der Vaterlandsliebe um; das ist bequem, macht einen guten Eindruck und erfüllt dennoch den Zweck. (…) Man gebe den Menschen ein bewegteres, ein reicheres, ein vollsaftigeres Leben; man mache ihnen die Arbeit zur Freude und nicht zum bloßem Mittel, die Nahrung schwer genug zu sichern; man gebe den Menschen jede Möglichkeit, ihre ganzen Fähigkeiten und Begabungen anzuwenden und auszunützen, statt sie verkümmern zu lassen. Dann würden keinerlei Kriegshetzereien irgendwelchen Erfolg haben, in keinem Lande. (…) Geld ist ein toter Begriff, der schon durch bloßes Umdenken seinen ganzen eingebildeten Wert verliert. (…) Das paßt natürlich alles nicht in das so wohlgefügte System unserer verbrieften und abgestempelten National-Ökonomie. Aber das soll es ja auch nicht Und vor allen Dingen schadet es ja auch nichts. Was man in ein System, in ein Programm preßt, hat ja seine Ausbreitungsmöglichkeit, seine ins Unendliche gehende Gestaltungsfähigkeit schon verloren.

 

Also warum System? Warum Programm?

 

Handeln, meine Freunde!