Es ist zu deinem Besten

Bürger_in: Es ist zu deinem Besten, dass du alle paar Jahre diejenigen wählen sollst, die dich und dein Leben organisieren und leiten; jene, die Tag für Tag entscheiden, was das Richtige für dich ist ohne dich jemals persönlich kennengelernt oder nach deiner Meinung gefragt zu haben. Es ist zu deinem Besten, dass die Mieten in deinem Viertel steigen und das Stadtbild von Einkaufszentren und Glaspalästen geprägt wird und nicht du und deine Nachbar_innen entscheiden wie ihr eure Umgebung gestaltet. Es ist zu deinem Besten, dass Bullen Tag und Nacht auf den Straßen patrouillieren und du dich immer und überall kontrollieren lassen und rechtfertigen musst. Es ist zu deiner eigenen Sicherheit, dass du immer und überall als verdächtig gilst, denn ob im Bus, beim Einkaufen oder im Internet, irgendjemand oder irgendetwas passt immer auf dich auf, seien es Kameras, die dich an jeder Straßenecke angrinsen, die Kontrolleure, die dich freundlich nach deinem Ticket bitten, dein Handy, das immer weiß wo du bist und stets aufmerksam zuhört oder die Beamt_innen und Ladendetektiv_innen, die das Wissen über deinen Tascheninhalt gerne mit dir teilen. Es ist nur zu deiner eigenen Sicherheit, dass letztendlich jeder deiner Schritte und Worte überwacht und gespeichert wird.  Es ist nur zu deinem Besten, dass sich bei den Zielen, an denen sich dein Handeln orientiert und nach denen du von allen beurteilt wirst, sich alles nur um den Aufbau einer funktionierenden Kleinfamilie, einem gut bezahlten Arbeitsplatz, viel Geld und Besitz und einem tadellosen Aussehen und Ansehen dreht.
Frau: Es ist zu deinem Besten, dass du seit deinem Kindesalter zu lernen hast, dass es sich für eine Frau nicht gehört Stärke zu zeigen; dass du stets unter der Obhut deines Vaters, Freundes oder Ehemannes stehst, der dich als Besitz begreift und dessen Vorstellungen du zu entsprechen hast. Es ist zu deinem Besten, dass deine Meinung immer als zweitrangig und nicht ernstzunehmend gilt. Genauso wie es zu deinem Besten ist, dass du dich neben deinem schlechter bezahlten und weniger angesehenen Job noch um die selbstverständliche und nicht bezahlte Hausarbeit und das Großziehen der Kinder kümmern musst. Es ist nur zu deinem Besten, dass du genauso gekleidet, geschminkt und magersüchtig sein musst, wie die dürren Models auf dem (mit Photoshop bearbeiteten) Werbeplakat an dem du jeden Tag vorbeiläufst. Es ist zu deinem Besten, dass du in den Augen von gaffenden Männern nur ein zur Schau gestelltes Stück Fleisch darstellst, über dass alle verfügen wollen. Genauso wie es normal ist, dass Männer nicht nach deiner Zustimmung fragen und gewalttätige Übergriffe tagtäglich sind. Es ist zu deinem Besten, dass du nicht selbst bestimmst wo deine eigenen Grenzen beginnen, da das Gesetze und Expertinnen für dich übernehmen, die wissen, welcher Umgang mit dem Täter und deinem eigenen Wunden am Besten für dich ist. Es ist zu deinem Besten, dass du selbst für all das (Vergewaltigung, Entmündigung, Unterdrückung) die Schuld zu tragen hast und dich an das Alleinsein mit deinem Leiden gewöhnen musst.

Schüler_in: Es ist zu deinem Besten, dass du morgens um sieben Uhr aufstehen und deinen Tag zwischen vier Wänden und einem geregelten Stundenplan verbringen musst, um deinem Lehrer zuzuhören, um zu schweigen und zu gehorchen. Es ist zu deinem Besten, Inhalte nach einem strickten Lehrplan auswendig zu lernen, ganz egal ob es dich interessiert oder nicht und deine Pausen nur dann zu nehmen, wenn andere der Meinung sind das du eine Pause verdient hast. Es ist nur zu deinem Besten, dass du deine Eltern achten musst, egal was sie tun oder sagen und du deinem_deiner Lehrer_in Respekt zu zeigen hast, auch wenn er_sie ein riesiges Arschloch ist. Es ist zu deinem Besten, abends wieder einmal zu bemerken, was du alles hättest machen können, wenn die Schule nicht den Tag und somit den Platz für deine eigene Tagesgestaltung und Ideen geraubt hätte. Es ist zu deinem Besten, dass dein Verhalten, deine Worte und Gedanken immer einer Bewertung unterliegen um dich Ende des Jahres von den besseren oder schlechteren Mitschüler_innen zu trennen. Es ist zu deinem Besten, dass du bestraft wirst, wenn du die Regeln, Verbote und Pflichten von Schule und Eltern in Frage stellst, da du ansonsten deine Chance auf Erfolg in Arbeit und Leben verspielst.

Arbeiter_in: Es ist zu deinem Besten, dass die Arbeit Pflichtsache ist, dass Fabriken und Bürokomplexe erbaut wurden, damit du sechs Tage die Woche und fünfzig Jahre deines Lebens einer einstudierten Routine folgen darfst. Es ist zu deinem Besten, dass du ein austauschbares Rädchen in einem spezialisierten Arbeitsprozess bist und du nicht für dich arbeitest, sondern für den Profit deines Arbeitgebers. Es ist zu deinem Besten, dass du keinen Einfluss auf die Fragen hast, warum du arbeitest, für wen du arbeitest und wie du arbeitest, da diese Fragen nicht von dir, sondern der höchsten Aussicht auf Gewinn beantwortet werden und dir somit Bezug, Veränderungsmöglichkeiten und die Verantwortung für das, was du tust aus den Händen gerissen wird. Es ist zu deinem Besten, dass es Überstunden gibt und die Gewerkschaften in deinem Namen sprechen um auf deinem Rücken den Preis für deine Lebenszeit auszuhandeln. Es ist zu deinem Besten, dass du vor Sonnenaufgang aus dem Haus gehst und nach Sonnenuntergang heimkommst, wo dir dann die Energie fehlt, deinen eigenen Interessen nachzugehen. Es ist zu deinem Besten, dass du durch deine Arbeit den Staat, der dafür sorgt, dass all das genauso bestehen bleibt, mitträgst und finanzierst. Und natürlich ist es ganz normal, dass du, wenn du ein_e Rentner_in bist, auf die Frage, was du in deinem Leben für dich selbst getan hast, keine Antwort parat hast.

Arbeitslose_r: Es ist zu deinem Besten, dass du dich andauernd vor dem Arbeitsamt rechtfertigen und kontrollieren lassen musst und dich stets arbeitswillig und unterwürfig zeigen musst. Es ist zu deinem Besten, dass du die ganzen Schulungen und Belehrungen über dich ergehen lassen musst und schließlich nicht mehr verreisen darfst um immer verfügbar zu sein. Es ist zu deinem Besten, dass dein Arbeitslosengeld immer weiter gestrichen wird und du letztendlich den dreckigsten und erniedrigendsten Job annehmen musst. Es ist zu deinem Besten, dass dieses Geld kaum zum Überleben reicht, aber gerade genug ist, damit du dir die zum Leben notwendigsten Dinge kaufen kannst und nicht auf die Idee kommst, sie dir einfach zu nehmen und zu rebellieren. Es ist zu deinem Besten, dass du für alle ein “Parasit”, ein “fauler Schmarotzer” und eine Belastung bist und dir das ständig durch Ausschluss, Diskriminierung und Hetze klar gemacht wird. Es ist zu deinem Besten, dass Lohnarbeit und Angepasstheit das Wichtigste sind um von Staat und Mitmenschen akzeptiert zu werden.

Jugendliche_r: Es ist zu deinem Besten, dass du dich den ganzen Tag nach einer Ausbildung, Lehre und dem bestmöglichen Abschluss umschauen musst, damit du ein “echter” Teil dieser Gesellschaft werden kannst. Es ist zu deinem Besten, dass eben diese Gesellschaft dir weismacht, dass deine Fantasien, abenteuerlichen Vorstellungen und Utopien vom Leben Kinderkram sind. Es ist zu deinem Besten, dass du für alles eine Unterschrift oder Erlaubnis deiner Erziehungsberechtigten brauchst, da du schließlich noch nicht alt genug bist um selbst über dein Leben zu bestimmen. Es ist zu deinem Besten, dass dir ständig gesagt wird, dass du Ordnung in dein Leben bringen musst und du dich den vorgefertigten Wegen und Rollen zu fügen hast, wenn du ein Erwachsener sein willst. Es ist zu deinem Besten, dass es langsam Zeit wird, dich nach einer festen heterosexuellen Beziehung umzugucken, wenn du als normal gelten willst. Es ist zu deinem Besten, dass die Straßen, Plätze und Flüsse dieser Stadt nicht dafür da sind, dich mit deinen Freund_innen zu treffen, Musik zu hören und Spaß zu haben, denn die Bullen werden dich sehr schnell in deine Schranken weisen. Es ist zu deinem Besten, dass du geformt, beraten und gelenkt wirst, damit du ungefährlich, brav und langweilig wie alle anderen wirst.

Flüchtling/ Migrant_in: Es ist zu deinem Besten, dass du sobald du in Deutschland ankommst in ein Flüchtlingslager eingesperrt wirst, da du nunmal nicht den richtigen Pass hast. Und da der Kapitalismus nunmal nicht alle Menschen, deren Probleme er verursacht hat, aufnehmen und ihnen Schutz bieten kann, ist es zu deinem Besten, dass du abgeschoben und in “dein Heimatland zurückgeführt” wirst, wo dich oftmals Krieg, Folter, Knast oder sogar der Tod erwarten. Es ist zu deinem Besten, dass das Flüchtlingslager in dem du lebst, von Stacheldraht umgeben ist und einem Gefängnis gleicht, da die Flucht und die Freiheit nunmal gefährlich sind. Es ist zu deinem Besten, dass du nicht selbst bestimmen kannst, was du isst, was für Klamotten du trägst oder ob du die Gemeinde in der das Flüchtlingslager ist, verlassen darfst, denn du bist nur eine Zahl in einem Ordner, die nicht die gleichen Rechte wie die Bürger_innen dieses Staates hat. Es ist zu deinem Besten, dass du auch wenn du bereits die “Erlaubnis” hast in diesem Land zu leben, dir bei der Arbeitssuche, bei Polizeikontrollen, in den Medien oder im Kontakt mit anderen Menschen sehr unmissverständlich klar gemacht wird, dass du nur ein “Problem”, etwas anderes und Fremdes bist, da du immer andere “Wurzeln” und eine andere “Identität” haben wirst. Es ist zu deinem Besten, dass du ständig damit rechnen musst angefeindet oder sogar verprügelt zu werden und dir erzählt wird, dass du besser daran getan hättest, “bei dir zu Hause” zu bleiben, da die meisten Menschen dieses Landes dich nur aktzeptieren, wenn du ihrer Nationalität angehörst.

Gefangene_r: Es ist zu deinem Besten, dass du in einen Knast eingesperrt wirst, wenn du nicht vor den Gesetzten und Prinzipien dieses Staates niederkniest, die eine Hand voll Menschen für alle anderen und dich bestimmt haben. Es ist zu deinem Besten, dass du eingesperrt und isoliert wirst, da das die Lösung und der Weg ist auf dem du dich “besserst” und deinen “Fehler” einsiehst. Es ist zu deinem Besten, dass du im Gefängnis immer weniger Kontakt zu anderen Gefangenen hast, da dir schließlich jede Abwechslung, jede Freude, jede Kreativität und selbstgewählte Beschäftigung genommen wird und du genauso leblos, kalt und langweilig wie dein routinierter und erzwungener Gefängnisalltag werden sollst. Es ist zu deinem Besten, dass dir elektronische Fußfesseln umgetan werden, dass du auf Schritt und Tritt beobachtet wirst und dich deine Strafe dein Leben lang prägen und verändern soll, denn du bist nur eine “Gefahr” für dich selbst und die Allgemeinheit. Es ist zu deinem Besten, das du erst “resozialisiert”, toleriert und entlassen wirst, wenn du dich all diesen Zwängen und Vorschriften unterwirfst.

Wenn uns die immerwährenden Versprechungen von Reichtum, Erfolg, Freiheit, Sicherheit und Glück nicht mehr reizen und wir nicht einsehen warum wir all die Erniedrigungen, Zwänge und Ausbeutungen über uns ergehen lassen sollten, nur um die Illusion in unserem Kopf am Leben zu halten, dass alles “zu unserem Besten ist”, wird es auch Zeit mit der Illusion der Unveränderbarkeit zu brechen. Wenn wir uns unserem Schicksal nicht mehr fügen wollen, da es nur noch eine Last ist, wird es uns nicht helfen “mehr rechtliche Gleichstellung” oder mehr “Toleranz” und “Integration” zu fordern, da dies nichts an unserer Unterdrückung und unserm Elend verändern wird. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen und damit meinen wir nicht reformieren oder erträglicher machen, sondern diese Gesellschaft, also die Gesamtheit aller menschlichen Beziehungen und ihre Basis, hinterfragen und zerstören wollen, müssen wir die Kategorien in die wir gedrängt werden, sprengen. Denn genau wegen diesen Kategorien, also den Normen, Richtlinien und klaren Grenzen dieser bspw. kulturellen oder sexuellen Kategorien verbiegen wir uns selbst um gesellschaftlich aktzeptiert zu werden und nicht ständig mit abwertenden Blicken und Kommentaren und letztendlich Aussschluss oder Gewalt konfrontiert zu werden. Doch da wir und unser Umfeld innerhalb dieser Kategorien und ihrer Normen aufgewachsen sind und uns nahezu jede_r anhand von ihnen beurteilt, sind diese gesellschaftlichen Kategorien letztendlich  jede Nische unseres Lebens präsent und wir können ihnen nicht einfach entfliehen. Allerdings können wir gegen sie und ihre Beschützer_innen revoltieren und versuchen diese Kategorien zu unterwandern. Darüberhinaus werden sie durch ihre sozialen Institutionalisierungen, also den Strukturen, die von diesen Kategorisierungen profitieren, die sie erzeugen und benötigen (bsp. staatliche, kirchliche, kapitalistische, demokratische, rassistische, sexistische Strukturern etc.), angreifbar. Der Aufstand beginnt jedoch immer mit uns selbst, denn erst wenn wir uns und unser Gegenüber als Individuum jenseits dieser Kategorien begreifen, geben wir uns die Möglichkeit unsere individuellen Differenzen zu entfalten. Wenn wir alle diese gleiche Freiheit genießen, hat das nichts mit irgendeiner Gleichstellung oder Eingliederung zu tun, denn erst wenn es nichts mehr gibt, in das mensch sich zu integrieren hat, niemanden der Rechte zu vergeben hat und wir uns nicht mehr tolerieren, sondern jenseits von oberflächlichen Eigenschaften als Individuuen anerkennen, sind wir mehr als passive Spielsteine die sich einer Rolle unterwerfen. Und genauso erkennen wir die Entscheidungen jedes Menschen als individuelle Wahl an, ob er_sie sich auf die Seite der Unterdrückung oder des Aufstands stellt und begegnen ihnen so als Feinde oder Kompliz_innen, als Menschen gegen die wir revoltieren oder als Menschen mit denen wir Vertrauen und Nähe teilen. Genau in dieser gemeinsamen Revolte durch die wir die Wahrnehmung unserer selbst verändern und neue kraftvolle Beziehungen kreieren, findet eine wirkliche Veränderung statt.