Giesinger Absurditäten

Eine der Spezialitäten der Münchner Polizei scheint es zu sein, sich immer wieder selbst zu übertreffen – in ihrer Absurdität. Als Spielfeld für ihre absurdesten Einfälle wurde scheinbar Giesing auserwählt: Auf die Glanztat von Mitte Dezember letzten Jahres – die totale Abriegelung des Viertels und die Festnahme aller jugendlich aussehenden Personen wegen eines Konzerts in der Trambahn (siehe Fernweh Nr. 24) – folgte nun, Anfang März, der nächste Streich.

Über eine Woche (7.03. bis 11.03.) observierte die Polizei in einer Schwerpunktaktion, an der über 100 Cops beteiligt waren, das ganze Viertel. Das Ziel: Graffitisprüher und -sprüherinnen, da „eine deutliche Zunahme im Zusammenhang mit fußballbezogenen sowie politisch motivierten Schmierschriften zu verzeichnen“ sei. Dass man in Giesing an vielen Hauswänden, anstatt dem allseits beliebtem Grau, auch mal die ein oder andere gesprühte Parole oder Liebesbekundung an einen bestimmten Fußballverein bestaunen kann, ist eine Tatsache. Und dass dies den Schweine in grün nicht gefällt, ist auch kaum verwunderlich. Die Dimension muss man sich aber schon einmal vor Augen führe: Sechs Tage lang observieren 100 Cops, in Zusammenarbeit mit dem Kommissariat für politisch motivierte Kriminalität und dem Kommisariat für Fussball und Graffiti, ein ganzes Viertel um am Ende, als stolze Ausbeute, drei Sprüher zu präsentieren, welche sie angeblich auf frischer Tat ertappten.

Da kann man sich natürlich fragen: geht es wirklich nur um etwas Farbe auf Giesings Hauswänden und die (angeblich so überlastete) Münchner Polizei ist so gelangweilt, dass sie über eine Woche 100 Schweine abstellen kann, um auf die Jagd nach SprüherInnen zu gehen? Stellt Graffiti eine so große Gefahr für die herrschende Ordnung dar?

Meiner Meinung nach geht es hier um mehr. Giesing befindet sich gerade mitten im Aufwertungsprozess, überall machen schicke Bars auf, hier und da entstehen hippe kleine Läden und die Mieten steigen unaufhörlich: Die aktuellen Bewohner werden langsam aber sicher vertrieben, um Platz zu machen für zahlungskräftigeres Klientel. Da stört es natürlich nur, wenn Graffitis die Wände „verschandeln“, vor allem, wenn sie noch dazu aufrufen, diesen Prozessen entgegenzutreten. Außerdem ist jedes illegal gesprühte Wort ein Symbol für etwas, vor dem sich alle Ordnungsfetischisten fürchten. Jede Sprüherei zeigt auf, dass wir in die Prozesse eingreifen können, dass jede und jeder die Möglichkeit hat, die Umwelt zu prägen und dass keine Überwachung je allumfassend sein kann. Dazu können alle, egal ob alt oder jung, zur Sprühdose greifen und das ist das gefährlichste: Menschen, die selbstbestimmt handeln und nicht alles nur hinnehmen, sondern das Leben als etwas begreifen, das man formen und verändern kann und nicht als etwas was uns nur passiert und sowieso schon feststeht.