Sicherheit und Kontrolle

 oder: München und das neue Justizzentrum

Die zweite S-Bahnstammstrecke, diverse Luxusneubauprojekte wie das „Seven“ in der Müllerstraße und das Werksviertel (ein komplett neues Stadtviertel aus dem Reagenzglas, welches hinter dem Ostbahnhof entstehen soll) sind riesige Bauvorhaben die nicht nur optisch die Stadt verändern werden, sondern auch direkte Auswirkungen auf das Leben der Bewohner haben werden. Diese Bauprojekte beschleunigen nicht nur Aufwertung und Verdrängung innerhalb der Stadt, sondern sind auch Mittel der Kontrolle und der Herrschaft. So soll 2014 der erste Spatenstich für das neue Strafjustizzentrum am Leonrodplatz gesetzt werden. Dieser Koloss der Bestrafung und Unterdrückung soll sich über eine Fläche von 38 000 qm erstrecken und alle bestehenden Gerichte und Staatsanwaltschaften zusammenfassen. Das Gericht ist nicht nur eine Institution, die dem Erhalt des Staates dient, sondern ist auch Abbild unserer Gesellschaft, ein Abbild der überall herrschenden Autorität und Unterdrückung. Als Anarchisten sehen wir tausend Gründe darin, den Bau zu verhindern und das Konzept des Strafens generell, anzugreifen. Die Beziehungen die mit dieser Institution einhergehen, also Beziehungen zwischen Menschen, die keinen wirklich direkten Umgang mehr kennen, sondern allen möglichen Reglementierungen unterworfen sind und sich nur über Vermittler ausdrücken, finden in diesem Gebäude eine Struktur die (an)greifbar ist. Um eine neue Welt zu erschaffen, muss alles Alte gehen, so auch jedes Gericht und die dahinterstehende Idee. Um einen direkten, solidarischen Umgang miteinander zu kreieren, muss mit der Auslagerung unserer Probleme an Knast und Justiz gebrochen werden und verhindert werden, dass sich die Justiz in unser Leben einmischt. Genauso müssen wir anfangen Verantwortung für unsere Taten und unsere Leben zu übernehmen und diese Verantwortung nicht abgeben.

Dieser Versuch der Herrschenden die Kontrolle weiter auszubauen, indem uns ein prunkvoller Glas- und Betonpalast vor die Nase gestellt werden soll, der uns immer daran erinnert, dass diese armselige Freiheit, die uns geboten wird, immer auf Bewährung ist, muss man auch aus dem Licht der Stadtaufwertung, Umstrukturierung und Verdrängung sehen.

Eine Stadt dient, aus Sicht der Macht, erst einmal zwei Dingen, dem Konsum und der sozialen Kontrolle. Diese Gesellschaft produziert Widersprüche am laufenden Band und es kann jederzeit passieren, dass diese sich explosionsartig ausdrücken (siehe bspw. den Unruhen in der Türkei, die Krawalle in Stockholm, etc…). Das bedeutet: wir sind nicht am Ende der Geschichte angekommen, diese Spannungen gefährden das Funktionieren der Stadt. Der Staat muss also zwangsläufig, um die Gefahr eines sozialen Wutausbruchs aufzuschieben, seine Bürger ruhig stellen. Das passiert auf zweierlei Arten: das Zuckerbrot und die Peitsche. Wir haben einerseits die Möglichkeit unsere Rolle in dieser Gesellschaft anzunehmen und zu funktionieren und dürfen im Gegenzug vielleicht sogar ein bisschen mitbestimmen, oder wir kriegen eben die Klinge an unsere Kehlen gelegt und die Fesseln werden fester angezogen.

Die Stadt ist ein Ort der Konzentration, hier (über)leben des Staates Bürger, hier gehen sie arbeiten, hier kaufen sie ein, hier amüsieren sie sich in den angebotenen, also erlaubten und geduldeten Formen. Es treffen die unterschiedlichsten Interessen und Träume aufeinander, Leute mit den verschiedensten Geschichten und vor allem mit mehr oder weniger gefüllten Geldbeuteln. Eine Stadt ist aber vor allem immer auch ein Ort des Kapitals, der Anhäufung von Geld. Aber damit es läuft wie es läuft und keine offenen Konflikte Gestalt annehmen, muss alles sicher und sauber bleiben, Investoren muss vermittelt werden, dass hier was zu holen ist. Es wird abgerissen, umgebaut, saniert und renoviert. Aus Mietwohnungen werden Eigentumswohnungen, wo früher nichts war, sprießen Boutiquen und Einkaufspassagen für ein Publikum mit großem Geldbeutel aus dem Boden. Die Veränderung, Sanierung und Umstrukturierung ganzer Stadtviertel vertreibt durch steigende Mieten häufig die alten Bewohner. Dahinter steckt System: Meist sind die Menschen mit weniger Geld diejenigen, die das Bild der Sicherheit, Kontrolle und des Reichtums durcheinander bringen. Den Unerwünschten wird der Aufenthalt und das Leben in den Städten verunmöglicht. Nur wer bezahlen kann ist willkommen und gern gesehen.

Es werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, denn die potentiellen Unruheherde verlagern sich aus den Herzen der Städte, wo das High-Life sich selbst inszeniert, in die urbane Peripherie. Graue Betonbunker verteilt auf eine Riesenfläche mit einfach durch die Bullen zu erobernden Straßen. Weit genug entfernt von den Stadtzentren um die heilige Ruhe der Arbeiten und des Konsums nicht zu stören.

In Zeiten sechsspuriger Straßen braucht es auch keine Mauern mehr um diese Viertel abzutrennen, Straßen und Autobahnen sind die neuen Mauern und dienen ebenfalls als Einfallstraßen für die Aufstandsbekämpfung, Parks werden einsehbar gestaltet, damit sich nichts und niemand den wachenden Augen der Gesetzeshüter entziehen kann. (Stadt-)Aufwertung ist ein ganz natürlicher Bestandteil von Kapitalismus, da gerade in München durch Investitionen auf dem Immobilienmarkt immer Geld zu machen ist. Der Immobilienmarkt dient sozusagen als Rettungsring, damit die Blasen auf dem Finanzmarkt sich nicht weiter aufblähen. Es ist ein Markt wo der Gewinn garantiert ist.

Stadtumstrukturierung ist aber nicht zwangsläufig ein nur an den Markt gebundenes Phänomen, oft genug kommen bei der Stadtplanung auch die Bullen mit ins Spiel, wo wir schon bei dem Thema Kontrolle wären. Als Ort der Konzentration, ist die Stadt auch ein Ort der Widersprüche und somit der Konflikte, wie oben bereits erwähnt, muss der Staat die Kontrolle in den Straßen bewahren, damit das Funktionieren gesichert ist. Das passiert nicht nur durch durch Kameras, Securities, patrouillierende Bullen, gesetztreuen Aktivbürgern mit Adleraugen…, sondern eben auch schon durch die Architektur an sich. Es ist nicht besonders verwunderlich, dass es in München so gut wie kein soziales Leben auf den Straßen oder in der eigenen Nachbarschaft gibt, wenn man sich anschaut wie die Häuser gebaut sind. Wenn es nicht einmal Plätze zum sich Treffen und Diskutieren gibt, ist es auch kein Wunder, dass man mit seinen Nachbarn in den letzten Jahren nie mehr Worte als „Hallo“ und „Schönen Tag“ gewechselt hat. Wenn die Wohnblöcke immer mehr der Massentierhaltung gleichen, ist es auch kein Wunder, dass die meisten Menschen ihre Zeit isoliert und einsam vorm Fernseher verbringen.

Damit das so bleibt und um alle daran zu erinnern wer nun mal die Macht hat, müssen diejenigen die sich dieser „schönen neuen Welt“ nicht unterwerfen bestraft werden und dafür braucht es die Justiz samt ihren Richtern, Gerichten, Staatsanwälten, etc. Diese wiederum brauchen für die schnelle und sichere Abwicklung von all jenen Gesetzesbrechern, die dieses friedliche Bild ins Wanken bringen, das dazu gehörige Gericht, sprich das neue Justizzentrum am Leonrodplatz. Dieser Luxusneubau hat seine Funktion also nicht nur darin, die Justiz effizienter zu machen, sondern stellt sich auch in den Kontext einer allgemeinen Aufwertung der gesamten Stadt.

Sich gegen Aufwertung auszusprechen und dann Politiker und Staat anzubetteln, bringt nichts. Zu sagen das Justizzentrum verhindern zu wollen, weil man die Baustelle nicht ertragen will oder die Fläche anders nutzen könnte und daraufhin Petitionen unterschreibt, wird wenig in Bewegung bringen. Ablehnung muss mit den Konsequenzen begriffen werden. Wenn man dieses Justizzentrum verhindern möchte, ist die daraus entstehende Konsequenz, es mit den Mitteln anzugreifen, zu sabotieren, zu verhindern die man für angemessen hält. Es geht aber auch nicht nur darum, dass wenn das Justizzentrum verhindert wird, die Welt wieder in Ordnung ist, keinesfalls. Das Justizzentrum ist nur eines der unzähligen Projekte der Herrschaft, jedoch eines in dem sich die hässliche Fratze der Macht besonders deutlich zeigt. Um sie zu Fall zu bringen, braucht es mehr als ein paar zusätzliche Kratzer, wir müssen ihrer Ideologie der Passivität den Zutritt zu unseren Beziehungen verwähren und zusammenkommen um alles in Frage zu stellen, nur dann werden unsere Beziehungen bedrohlich. Dazu müssen aber auch die Mittel des Kampfes entsprechend gewählt werden. Eine neue Welt zu begehren, lässt sich nicht in Forderungen formulieren, genauso wenig kann Freiheit im Dialog mit dem Feind erbettelt werden.

Solange diese Stadt zwei Dingen dient, nämlich dem Machterhalt und dem Konsum, so lange die Architektur nach der Logik der Ausbeutung und Herrschaft entworfen ist, solange alles überschaubar und kontrollierbar bleibt, wird es hier nie einen Platz geben, der nicht der Passivität des Konsums, der Entfremdung, der Ausbeutung und der Herrschaft gewidmet ist.

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