Soldaten im Kindergarten

Es ist nicht etwa der Versuch eines ausgefuchsten Werbestrategen des Verteidugungsministeriums, einem Rekrutenmangel Herr zu werden, sondern der Versuch des Münchner Bildungreferats, dem Erzieher_innenmangel an Kindergärten und -grippen beizukommen: Mit einem Programm namens „We want you“ werden ab sofort Soldat_innen, deren Wehrdienst sich dem Ende neigt, von Mitarbeitern des Bildungsreferats direkt auf vom Bund für die Seinen veranstalteten Jobmessen dafür angeworben, nach dem Dienst eine Ausbildung zu Erziehern zu beginnen. Dieses Projekt, durch das sich doch eigentlich selbst dem letzten gläubigen Demokraten die sogenannte Zivilgesellschaft als die erbärmliche Heuchelei offenbaren dürfte, die sie immer war, soll als ebenso harmlos verkauft werden, wie das Anwerben ausländischer Erzieher_innen oder eine verkürzten Ausbildungsdauer für Abiturient_innen um diesen den Erzieherberuf schmackhaft zu machen. Eins wie das andere, angeblich alles nur sinnvolle, notwendige Maßnahmen, um die 200 fehlenden Stellen bei der Stadt und weitere bei privaten Kitas endlich besetzt zu bekommen. Zuerst einmal ist mir ganz grundsätzlich die Idee zuwider, einen Menschen, egal wie alt oder wie selbstständig er ist, zu erziehen. Schon das Wort klingt danach, jemanden zurecht zu zerren und den eigenen oder den gesellschaftlichen Vorstellungen gefügig zu machen, anstatt diesen Menschen möglichst gut darin zu unterstützen, sich selbst zu erfinden und mit der eigenen Individualität zu experimentieren. Natürlich kann ein Kind sich nicht vom ersten Tag an um sich selbst kümmern, es braucht Personen, die ihm helfen zu verstehen, was ihm selbst oder anderen schadet, gut tut, mit denen es kommuniezieren kann, die es füttern, die da sind, mit denen es spielen und lachen kann. Aber ein Kind auf diese Art zu begleiten, ihm möglichst bei der Entdeckung von sich selbst und der Welt zu helfen wo es alleine an Grenzen stoßen würde, hat für mich nichts mit Erziehung zu tun. Der Auftrag von eigens bei der Stadt – also einer demokratischen Verwaltungsstruktur – angestellten Erzieher_innen ist dann noch viel expliziter als derjenige der Eltern, den Kindern die demokratischen Werte und gesellschaftlichen Normen und Regeln einzubläuen. Und doch macht es innerhalb dieser Verhältnisse einen gewaltigen Unterschied, ob die Erziehung durch irgendeine Person stattfindet, die vielleicht einfach weil sie Kinder mag, vielleicht weil sie deren von der gesellschaftlichen Norm noch recht unverfälschte Kreativität und Phantasie zu schätzen weiß und die es, wer weiß, vielleicht mit ihrem der Vorstellung des Bildungsreferats entsprungenen Erziehungsauftrag gar nicht so genau nimmt; oder ob die Erziehung durch ehemalige Soldaten stattfindet. Jemand, der einmal aus freien Stücken beschlossen hat, in ein Heer von bezahlten und vereideten Mördern einzutreten, der in diesem Heer all den Drill, den Befehl und Gehorsam des Soldatentums kennen, akzeptieren und schätzen gelernt hat, so jemand wird diese soldatischen Tugenden nicht einfach mit der Uniform ablegen. Er wird sie mitnehmen, an den neuen Arbeitsplatz und sie dort einbringen, als Bezugsperson für Vorschulkinder. Er wird weiterhin Befehle von Vorgesetzen empfangen, wie bisher, und er wird weiterhin seinen Untergebenen befehlen, wie bisher. So lernen die Kids den soldatischen Befehl und Gehorsam lange, bevor sie wissen, was der Wehrdienst überhaupt ist. Nach dem Mittagessen gibt es dann vielleicht noch die ein oder andere spannende Geschichte vom alten Arbeitsplatz der neuen Erzieherin (aber nur, wenn alle ganz brav und still sitzen) und zu Weihnachten einen Playmobil-Panzer für die Spielecke. So ist die Zusammenarbeit von Bildungsreferat und Bundeswehr für beide Seiten lohnend: Für die Bundeswehr springt dabei eine Quelle künftiger Rekrut_innen heraus, die viel ergiebiger sein könnte, als all die Werbekampagnen auf Plakatwänden, auf Youtube oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, als die zahnpastawerbung-tauglichen grinsegesichtigen Soldatinnen in Jahresberichten, die über die patriarchalen Strukturen beim Bund hinwegtrügen sollen, und sogar viel erfolgversprechender als rethorisch und pädagogisch eigens dafür geschulte Bundeswehrler, die spätestens seit Abschaffung der Wehrpflicht jährlich an den meisten Schulen für sogenannte „Informationsveranstaltungen“ auftauchen, die reine Propagandaaktionen sind, weil jeder kritische Einwand geschickt unter den Schultisch gekehrt wird. All das bleibt einerseits auf einzelne Eindrücke in unserem Alltag beschränkt und lässt sich andererseits relativ leicht sabotieren. Mit ein paar motivierten Mitschülerinnen lässt sich jeder Auftritt von Soldaten im Klassenzimmer zum Desaster machen, jedes Bundesewehrplakat lässt sich abreißen oder mit Dose und Stift verschönern und in seinem Wahrheitsgehalt verbessern. Die Soldatin im Kindergarten soll dagegen auf subtile Art dazu beitragen, allein durch ihren Habitus das Soldatische zur Norm und zur Gewohnheit zu machen, sodass es kaum noch erkannt und erst recht nicht hinterfragt wird. Und das nicht erst im Jugendalter sondern schon bei Kleinkindern. Schon von Klein auf werden diese Kinder lernen, wie es den Deserteuren in dieser Welt ergeht. Kein Wunder also, dass der Bund einer Erzieherausbildung seiner Ehemaligen nur zustimmen kann, sie finanziert und die künftigen Erzieher während dessen weiterhin in der Kaserne wohnen lässt. Dies findet im Rahmen des Berufsförderungsdienstes der Bundeswehr statt (schließlich will man sich den Idioten, die mit dem Hirngespinst der Nation im Kopf für das Vaterland verteidigten, ja erkenntlich zeigen) und hat den praktischen Nebeneffekt, sicherzustellen, dass die angehenden Erzieher_innen bis zum Berufsantritt und während sämtlicher Praktika im soldatischen Milieu verbleiben und sich blos ja die entsprechenden Gepflogenheiten während der dreijährigen Ausbildung nicht auch nur ansatzweise abgewöhnen. Und falls jetzt jemand noch nicht von den unzähligen Vorteilen dieses genialen Projekts für alle Seiten überzeugt sein sollte, dann dürfte das Argument, Jungs bräuchten doch dringend auch Männer (die es bei Bundeswehrabgängern natürlich überproportional viele gibt) als Erzieher, um ihr Rollenverhalten erlernen zu können. Ja, was könnte wohl mehr zum Glück eines Kindes beitragen, als anhand von vorgegebenen Rollenerwartungen vorgelebt zu bekommen, was „normales“ Verhalten ist? Und ist ein Soldat nicht sowieso der Inbegriff der Männlichkeit? Nun, ich persönlich stelle mir darunter, was es heißen könnte, einen Menschen bei seiner Entwickung und Entfaltung zu begleiten, etwas ganz anderes vor, als ein gewisser Andreas Parthum, der Vorzeige-Exsoldat für das Projekt „We want you“. Der erzählt als einer, der es ja wissen muss, seinen ehemaligen Soldaten- und potentiellen zukünftigen Erzieherkollegen im Auftrag des Bidungsreferats von der Vielseitigkeit und Sicherheit des Berufs und der Wichtigkeit männlicher Erzieher und kommt offenbar nicht auf die Idee, dass sich irgendwer von seiner einstigen oder heutigen Rolle gestört fühlen könnte. Daneben leitet er den Hort am Förderzentrum Nord. Sollte man mit diesen Informationen nicht auch noch anderes anzufangen wissen, bleibt doch Eltern zumindest die Möglichkeit, sich lieber nach einer anderen Unterbringung für den Nachwuchs umzusehen. Ob es von ungefähr kommt, dass der Exsoldat ausgerechnet im Hasenbergl arbeitet (wo er vielleicht eine höhere Zahl möglicher künftiger Deserteure wittert), oder kann es sein, dass er dort den Drill als Erziehungsmethode für besonders nötig hält? Aber sei es nun dort oder in einem anderen Viertel, einer anderen Stadt oder einem anderen Land: unser Alltag wird mehr und mehr vom Militarismus durchdrungen, von der Allgegenwärtigkeit der kriegerischen Normalität im sogenannten Frieden. Davon ist die Initiative des Bildungsreferats nur ein Teil. In Kriegsgebieten erprobte Überwachungstechnologie, jährlich zur Sicherheitskonferenz auf den Dächern der Münchner Innenstadt postierte Scharfschützen, Hochgerüstete Bullen, Rüstungsunternehmen, Gefechtsübungszentren und Nato- und Bundeswehrstützpunkte in ganz Deutschland und patroullierende Soldaten in den Straßen vieler (auch europäischer) Städte im Rahmen von immer und immer wieder verlängerten Ausnahmezuständen: Krieg und Militär werden Sück für Stück in unseren Alltag integriert, wir sollen lernen, sie als Selbstverständlichkeit zu betrachten und schließlich garnicht mehr wahr zu nehmen. Im Namen der Sicherheit sollen wir einen Zustand dauernder Überwachung akzeptieren, während die Selben, die von dieser Sicherheit reden, den Bau von Waffen und Kriegsgerät fördern und befürworten. Und wir sollen vergessen, dass der Krieg, der da auf verschiedensten Ebenen vorbereitet und geführt wird, sich gegen uns richtet, gegen Unangepasste und Deserteure von jeder Form der Herrschaft. Wenn wir also nicht selbst wie ungezogene Kinder von soldatischen Erziehern in die Ecke gestellt werden wollen, sollten wir überlegen, wie wir uns der permanenten Militarisierung in ihren offensichtlichen und subtilen Formen entgegenstellen können. Und wie wir schließlich die gesamte Logik von Krieg und Herrschaft, Befehl und Gehorsam, der Nation und dem Fremden, Kontrolle und Überwachung… außer Gefecht setzen.