Über die Gefängnisse

Um der Frage der Gefängnisse auf den Grund zu gehen, müssen wir uns erst einmal überlegen, was Gefängnisse eigentlich sind: Sind es wirklich nur die riesigen, grauen Bauten die am Rande der Stadt stehen und wo Menschen dazu gezwungen werden einsam vor sich hin zu vegetieren, diese offensichtlichste Form der modernen Folter? Oder ist es nicht vielmehr so, wie es mir erscheint, dass diese ganze Gesellschaft in der wir heute leben ein riesiges Gefängnis unter freiem Himmel ist? Und die Gefängnisse nur die letzte Station für die Leute sind, die sich am schlechtesten in diese Gesellschaft, im Sinne der Herrschaft, integrieren lassen?

Die Gefängnisse sind eines der vielen Mittel mit dem der Staat versucht seine vielen Schäfchen und die paar Wölfe in Zaum zu halten. „Aber was ist mit den Vergewaltigern..?“, höre ich es schon aus allen Richtungen auf mich ein schreien. Und fürwahr, ein berechtigter Einwand, doch bevor wir darüber nachdenken, sollten wir uns vor Augen führen, dass Knäste nicht für Vergewaltiger oder Mörder gebaut wurden. Aber für wen wurden und werden dann die Gefängnisse gebaut? Geschichtlich betrachtet sind die ersten Gefängnisse mit dem Aufkommen des Kapitalismus aufgetaucht. Also zu einer Zeit wo der Großteil der Menschen in bitterster Armut vor sich hin vegetierte und auf der anderen Seite die Fabrikbesitzer und Bonzen unermesslich reich wurden. Um diese Ausbeutungsmaschine am Laufen zu halten, mussten (und müssen immer noch) die Aufständischen und diejenigen die sich nicht nach den Regeln der Herrschenden richteten weggesperrt und von den anderen Ausgebeuteten isoliert werden, damit sich deren Methoden und Revolten nicht verbreiteten. Da dies durch die früheren Bestrafungs-Methoden nicht möglich war (z.B. öffentliche Demütigungen etc.) und sich die gesellschaftlichen Moralvorstellungen hin zu einer „Humanisierung“ des Strafvollzugs (das heißt, hin zu einer Bestrafung die eher auf die Psyche des Menschen abzielt) entwickelten, wurden, stark verkürzt gesagt, die ersten Gefängnisse errichtet. Da die Gefängnisse zeitgleich mit den Fabriken entstanden, ist es auch kein Wunder, dass die Gefängnisse dann auch zum Vorbild der Fabrik wurden und umgekehrt, oder wie es jemand anderes mal formulierte: „In der Morgenröte der Industrialisierung wurden Fabriken nach dem Muster von Gefängnissen gebaut. In dessen Dämmerung werden nun Gefängnisse nach dem Abbild von Fabriken gebaut.“ (– Os Cangaceiros)

Auch wenn uns das die Massenmedien genannten Schundblätter der Herrschaft gerne weiß machen wollen, in Wirklichkeit sitzt der kleinste Teil der Gefangenen wegen Sexual- oder Morddelikten im Knast. Die Morde und Vergewaltigungen sind Extremfälle, die benutzt werden um von der wirklichen Funktion der Gefängnisse abzulenken. Kaum jemand käme wohl auf die Idee nicht mehr Auto zu fahren, obwohl das Risiko im Straßenverkehr zu Tode zu kommen zigfach größer ist, als ermordet zu werden. Niemand fordert wegen den Toten auf den Straßen die Abschaffung der Autos, Busse und Lkws. So wie die Verkehrstoten Extremfälle im Straßenverkehr darstellen, verhält es sich auch mit den Tötungs- und Vergewaltigungsdelikten bezogen auf die Gesamtheit der Straftaten. Der überwiegende Teil der Leute werden weggesperrt weil sie, ob bewusst oder unbewusst, die herrschenden (Eigentums-)Verhältnisse nicht akzeptieren können oder wollen. Seien es nun Leute die ihre Rechnungen nicht bezahlen, Bankräuber Einbrecher, Diebe oder Schwarzfahrer. Wenn wir uns anschauen, aus welchen gesellschaftlichen Verhältnissen die Menschen kommen die hinter den Mauern verrotten, wird klar für wen diese Gefängnisse gebaut wurden. Aber nicht das wir uns falsch verstehen: Wir sind gegen jegliche Form der Einsperrung und des Bestrafens, egal was jemand getan hat, denn solange nicht alle frei sind, ist niemand frei.

Das Gefängnis zielt darauf ab, die Persönlichkeit der eingesperrten Individuen komplett zu brechen um sie dann im Sinne der Herrschaft wieder einzugliedern, soll heißen, zu dankbaren Arbeitssklaven zu machen. Diejenigen, bei denen das nicht funktioniert, die werden immer wieder eingesperrt, bis sie schließlich ihr ganzes Leben “verwahrt” werden.

Aber zurück zu der Frage ob das Gefängnis wirklich nur das physische Einsperren der Menschen in Knäste meint. Denn wenn das alles ist, was wir darunter verstehen, könnte es uns leicht so vorkommen, als würde uns die Frage der Gefängnisse überhaupt nicht betreffen, solange die Zellentür nicht hinter uns ins Schloss fällt. Und das ist auch genau das Ziel der Macht: totale Isolation und Vereinzelung, so dass wir uns ja nicht in dem Schicksal unserer Mitmenschen wiedererkennen und sehen, dass uns das Gefängnis als Drohung durchgehend umgibt. Das Gefängnis geistert ständig in unseren Hinterköpfen herum und hält uns davon ab bestimmte Sachen zu tun oder drängt uns dazu bestimmte Sachen zu machen. Wobei hier eher die Prinzipien gemeint sind, welche das Gefängnis bedingen: die Prinzipien des Bestrafens bzw. Wegsperrens und der Unterwerfung von Menschen, welche unser ganzes Leben durchziehen,

Früh werden wir an diese Prinzipien des Einsperrens und der Autorität gewöhnt: Die Schule ist ein Gefängnis für sechs Stunden am Tag, nur dass wir dort sogar um Erlaubnis betteln müssen um aufs Klo zu gehen oder was zu trinken. Am Arbeitsplatz oder in der Lehrstelle verhält es sich genauso, nur dass jetzt vielleicht noch Kameras dazukommen um uns zu überwachen. Männer dürfen keine Schwäche zeigen und müssen sich immer behaupten, Frauen müssen sich die ganze Zeit blöd anmachen lassen, Kinder müssen ihren Eltern gehorchen, wir alle müssen uns von Kameras beobachten und von Bullen kontrollieren lassen, wir müssen vor unseren Chefs buckeln, wir können uns aus den Supermärkten und Läden nicht das holen was wir brauchen, sondern nur das was wir uns leisten können und und und… Diese Liste ließe sich beliebig fortführen. Unser ganzes Leben ist durchdrungen von geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzten, von Normen, Verhaltenscodes und Macht- und Unterdrückungsverhälnissen.

Und das ist also die „Freiheit“? Das „Ende der Geschichte“ – die beste mögliche Welt? Für mich ist diese ganze Gesellschaft ein Gefängnis unter freiem Himmel, nur dass außerhalb der Knäste die Mauern nicht aus Beton, sondern aus unserer Angst bestehen und Wärter und Gefangener nicht zwei verschiedene Sachen, sondern wir alle gleichzeitig Wärter und Gefängnisinsasse sind.

Da das Gefängnis eine elementarer Bestandteil unserer heutigen Ordnung ist lässt es sich auch nicht einfach abschaffen oder nur für „bestimmte“ Leute aufrecht erhalten (Mörder, Vergewaltiger, Nazis,…) ohne das die ganze Gesellschaft dem Gefängnis immer ähnlicher werden würde. Angenommen das Gefängnis würde auf demokratischem Wege abgeschafft werden, würde das zwangsläufig dazu führen, dass die Überwachung quasi allumfassend, dass die Polizeipräsenz noch erdrückender werden würde oder das wir schlussendlich alle elektronische Fußfesseln tragen müssten (oder besser noch, ein Smartphone, was sowieso praktischer wäre, weil das freiwillig geschehen würde…). Also jede Reform die das Gefängnis verbessert oder sogar abschafft, führt nur dazu dass unsere heutigen Freiluftzellen den Gefängniszellen immer ähnlicher wird, denn auch wenn es eines Tages die Knäste nicht mehr geben sollte, die Prinzipien des Gefängnisses werden so lange existieren wie diese Gesellschaft existiert. Also ist meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit die Frage der Gefängnisse praktisch anzugehen, sie zu zerstören und zwar samt der dazugehörigen Prinzipien bzw. der heutigen Gesellschaft.

Ich will nicht sagen, dass es in einer anderen Welt, ohne Unterdrückung und Einsperrung keine Konflikte unter den Menschen mehr geben würde, aber durch Wegsperren lösen wir diese Konflikte sicher nicht. Außerdem bin ich der Meinung, dass ein Großteil der heutigen zwischenmenschlichen Gewalt ihre Ursachen in unserer heutigen Gesellschaft hat. Der (Leistungs-)Druck den wir tagtäglich erfahren, die ständigen Demütigungen von unseren Chefs oder beim Arbeitsamt, die Perspektivlosigkeit, die Vereinzelung und der Einsamkeit, der wir ausgesetzt sind, brauchen ein Ventil. Wer kennt das nicht, die Momente, wo man am liebsten alles kurz und klein schlagen würden, wo alles irgendwie so sinnlos und hoffnungslos scheint? Die einzige Frage ist, ob wir diese zerstörerische Energie an den Menschen denen es genauso beschissen wie uns selber geht herauslassen, oder ob wir uns nicht lieber zusammen tun und all das angreifen was uns unterdrückt?

Niemand ist frei bis alle frei sind! Lasst uns unsere Zellen verwüsten und dieses riesige Freiluftgefängnis überall dort angreifen, wo es uns tagtäglich unterdrückt!