An der Fischtheke

Ich arbeite an einer Fischtheke in einem großen Kaufhaus. Es ist nicht schwer sich vorzustellen, wie beschissen dieser Job ist. Eigentlich hätte ich schon längst gekündigt, aber da der Zaster für meine Miete irgendwie reinkommen muss, hab ich Schiss keinen Job zu bekommen und die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderer Job besser wäre oder mir sogar gefallen würde, ist gleich Null. Eigentlich machen alle Berufstätigen das gleiche wie ich: Sich in der Früh aus dem Bett quälen, versuchen jeder freien Sekunde ein bisschen Geschmack durch eine fade Kippe oder viel zu süßen Kaffee einzuhauchen, in die U-Bahn wanken um sich neben andere verschlafene Mutanten zu gesellen, sich in der Arbeit angekommen in eine peinliche Uniform oder Maske zwängen um dann endlich zu arbeiten… und ich muss mir dann noch ein verkrampftes Lächeln abringen, wenn ich dem nächsten Kunden einen überteuerten Fisch entgegenstrecke. Irgendwann hat man sich so an die Routine der Arbeit gewöhnt, dass man fast denken könnte, dass man sich damit abgefunden hat und sich trotz dieses ständigen inneren Unbehagens irgendwie mit dieser eintönigen Routine arrangieren könne. Doch das einzige was einen während der Arbeit am Leben hält, ist der Gedanke an den Feierabend. Nicht, dass dieser jetzt besonders aufregend sein muss, nein, es ist nur die Gewissheit, dass das alles bald vorbei ist, die einen dazu bringt, weiterzumachen. Ernsthaft, wenn ich an der Fischtheke stehe und auf die Uhr schaue, hoffe ich immer, dass schon wieder eine Stunde um ist. Ein komisches Leben, in dem man ununterbrochen nur damit beschäftigt ist, es hinter sich zu bringen.

Die Schnösel, die mir jetzt vielleicht widersprechen, weil sie ja so einen besonderen, einzigartigen Beruf haben, der ihnen so richtig Spaß macht und sie auch noch ganz selbstständig ohne Chef und Dienstplan sind – auch wenn es nur eine Handvoll von ihnen gibt – haben die Lüge geschluckt, die uns Lehrer und Arbeitsämter schon immer eintrichtern wollten: Dass es da draußen einen Beruf gibt, für den wir gemacht sind, der unsere Berufung ist. Aber die Berufung formt den Berufenen und nicht der Berufene seinen Beruf. Denn wer sich das Hobby zur Arbeit macht, macht sich die Illusion die Arbeit zum Hobby machen zu können und das ist ein in etwa so fruchtbares Unterfangen wie aus Scheiße Gold machen zu wollen.

Ich bin Diener und Bedienter in einem: Wenn ich arbeite, erkaufen sich Kunden Dienstleistungen von mir (bzw. bezahlt mein Chef mich dafür) und machen mich so zu einem Diener, der ihnen ihren Fisch verpackt, obwohl ich absolut keinen Bock darauf habe. Und wenn ich Feierabend habe, gebe ich meine gerade verdiente Kohle eben wieder aus um irgendeinen Krempel zu kaufen und um all diesen Krempel verfügbar zu machen, mussten andere Leute Stunden lang Diener spielen. Wir kommen nicht darum herum und sind unser Leben lang in diesen Rollen eingesperrt und anscheinend dazu verdammt, zu dienen und uns bedienen zu lassen. Ich könnte auch sagen, dass wir Hure und Freier, Drogendealer und Drogenabhängiger, Sklave und Sklaventreiber in einem sind. Wenn ich in die Arbeit gehe und mir die Maskerade eines Fische verkaufenden Dieners überziehe, erinnere ich mich immer daran, dass das ein Kostüm ist, um zu verhindern, dass ich irgendwann mit dieser Rolle verwachse und aus Überzeugung diene. Denn wenn ich in meinem Leben Momente der Freude und des Glücks ergattere, geschieht dies sicherlich nicht an der Fischtheke und so bin ich stets darauf bedacht, so wenig Zeit wie möglich an diesem verflixten Ort herumzustehen.

Ohne es zu ahnen, vollendete ich vor einigen Wochen einen echten Geniestreich, der ganz im Sinne dieser arbeitsscheuen Haltung steht: Als das Kaufhaus schon längst geschlossen hatte, waren nur noch ich und ein jüngerer Kollege in der Lebensmittelabteilung übrig. Dieser Kollege ist ein Arschkriecher wie er im Buche steht und ist ununterbrochen nur damit beschäftigt, es dem Chef möglichst recht zu machen. Vielleicht wittert er Aufstiegschancen und will Abteilungsleiter werden oder vielleicht ist er wirklich mit der Rolle des Fischverkäufers verschmolzen, ich weiß es nicht. Jedenfalls hätten wir den Laden eigentlich dicht machen können, doch er war ganz erpicht darauf, noch einmal komplett durch zu wischen und den Laden auf Hochglanz zu bringen, obwohl wir noch nicht einmal für solche Überstunden bezahlt werden. Ich sagte ihm klipp und klar, dass ich da nicht mitspiele und für heute Schluss ist. Da er aber den Schlüssel für die Türen hatte musste er mich hinauslassen. Als ich ihn darum bat, murmelte er, dass er noch schnell etwas aus einer anderen Abteilung holen müsste und mich erst dann rauslassen könne. Ich grummelte, dass er sich gefälligst beeilen sollte. Ich warte und warte und er kam und kam nicht und als mir die Lächerlichkeit der Situation bewusst wurde – dass ich in diesem Drecksloch meine freie Zeit vergeude, nur weil der fleißige Spinner anscheinend Spaß am Schuften hat – ergriff ich blindlings einen dicken Kabeljau aus dem Kühlregal und schleuderte ihn mit hochrotem Kopf in eine andere Ecke des Ladens. Das hat er davon, den alten Fisch kann er selbst aufräumen. Als er mich eine gefühlte Ewigkeit später endlich hinausließ, fiel ich sterbensmüde in meine Koje und mir fiel ein, dass immerhin ein paar Feiertage vor uns lagen. Schließlich gingen diese Feiertage auch hinüber und als ich einige Tage später zu Schichtbeginn vor dem Kaufhaus stand, rüttelte ich an der Türe, doch es war abgesperrt. Alle Türen waren verschlossen und nirgendwo war ein Zettel oder sonstiges aufzufinden. Na, wenn das mal keine gute Ausrede ist um blau zu machen, dachte ich mir, machte eine Kehrtwende und fuhr nach Hause. In der U-Bahn bekam ich eine Zeitung in die Hände und als ich sie durchblätterte fand ich eine Nachricht, die ich erst einmal verdauen musste: „Millionenschaden! Kaufhaus muss gesamtes Lebensmittelsortiment entsorgen! Verdorbener Fisch verursacht Gestank und hygienische Standards können nicht mehr garantiert werden…“ Als ich weiter las, erfuhr ich, dass vermutlich ein hinter einer Heizungsröhre gerutschter Fisch das ganze Dilemma ausgelöst hätte und das Kaufhaus nun die ganze Woche geschlossen bleiben müsste. Ein dickes Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus und ich dachte ich mir, wie unberechenbar doch die Folgen so manchen Versuches sind, seiner Wut Luft zu machen und bloß ein wenig Freiheit zu erhaschen. Der ein oder andere Stein, den man achtlos ins stille Wasser wirft, zieht größere Kreise, als man ahnt…