Über die Beschissenheit der Dinge

Der Wecker ist beschissen. Der zu kurze Schlaf ist beschissen. Die morgendliche Fahrt zum sich knechten ist beschissen, genauso wie die Kontrolleure, mein Chef und eigentlich alles beschissen ist.

 

Woher kommt der ganze Müll aus dem sich unser Alltag zusammen setzt? Warum müssen wir Miete zahlen, wozu brauchen wir Versicherungen und warum müssen wir 40 Jahre unseres Lebens arbeiten? Warum darf nur der U-Bahn fahren, der Geld hat und wozu brauchen wir überall riesige Werbungen die uns nur zeigen was wir kaufen müssen und wie wir auszusehen haben? Warum hängt an jeder Ecke eine Kamera die uns auf Schritt und Tritt überwacht und warum müssen wir für all die Dinge, die wir zum Leben brauchen bezahlen? Warum sind wir von Zäunen, Mauern und Grenzen umgeben, die uns immerzu einschränken und warum hängt an jeder zweiten Tür ein Schild mit der Aufschrift „Betreten verboten“? Wozu ist alles durch Gesetze, Vorschriften und Moralvorstellungen geregelt und warum können wir über nichts, was unser Leben betrifft selber entscheiden? Haben wir uns die Welt ausgesucht, hatten wir die Möglichkeit unsere Umgebung so zu gestalten wie wir Lust haben?

 

Warum befolgen wir all die Gesetze und Vorschriften denen wir nie zugestimmt haben?

 

 

Die Gesellschaft funktioniert nur, weil ihre einzelnen Zahnrädchen funktionieren, also letztendlich nur weil wir funktionieren. Was aber heißt zu funktionieren? Zu funktionieren heißt arbeiten zu gehen, allen Gesetzen und Autoritäten zu gehorchen, jeden Monat fleißig die Miete zu überweisen, für all die Dinge die wir zum überleben brauchen zu bezahlen und nur dann Spaß zu haben wenn es erlaubt ist. Kurz, zu funktionieren heißt in dieser beschissenen Gesellschaft mitzuspielen und die unzähligen Spielregeln zu akzeptieren.

 

Wir als Anarchisten aber wollen eine Welt, in welcher nicht die Beschissenheit der Dinge über alles herrscht, sondern ein Zusammenleben ohne Zwänge und Vorschriften (außer jenen, denen wir selbst zugestimmt haben), ohne Chefs, Bullen, Lehrern, Vorgesetzten und sonstigen Autoritäten, eine Welt in der jeder und jede sich voll entfalten kann. Dies ist im Heute nicht möglich und wir sehen auch keinen Sinn darin die heutige Gesellschaft zu „verbessern“, da dies nur bedeuten würde unsere Bedingungen als Sklaven der Arbeit angenehmer zu gestalten. Denn Sklaven bleiben immer Sklaven, egal wie groß ihre Käfige oder wie lange ihre Ketten sind. All jene die nur dafür kämpfen einen Teilbereich dieser Gesellschaft zu verbessern, sei es, dass unser Essen biologisch wird oder die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, helfen mit, diese Gefängnisgesellschaft möglichst reibungslos funktionieren zu lassen. Natürlich, wenn es Verbesserungen gibt, lehnen wir sie nicht ab, aber unser Ziel ist eine komplett andere Welt und nicht den Herrschenden dabei zu helfen die heutige Welt der Unterdrückung zu perfektionieren.

 

Die einzige Möglichkeit eine neue Welt zu errichten sehen wir in einem radikalem Bruch mit dem Bestehendem, einer weitverbreiteten Revolte, einem allgemeinem Aufstand, in dem alles was uns unterdrückt zerstört wird. In solch einem Moment des allgemeinen staatlichen Kontrollverlusts sehen wir mehr Möglichkeiten neue Beziehungen zu den Menschen um uns herum aufzubauen, wirklich frei zu kommunizieren und dadurch eine neue Welt zu ermöglichen.

 

Die Frage die sich nun stellt, ist, wie erreichen wir diesen Punkt an dem Platz für etwas komplett neues entsteht? Wenn diese Gesellschaft nur funktioniert, weil wir funktionieren, reicht es dann einfach nicht mehr zu funktionieren, reicht es einfach zu versuchen aus seiner Rolle auszubrechen?

 

Offensichtlich nicht, denn Aussteiger, Leute die nicht arbeiten wollen, „Kriminelle“ – Menschen die nicht ihre vorgeschriebene Rolle erfüllen – gibt es wohl einige. Da aber wahrscheinlich niemals alle Menschen der Welt gleichzeitig aufhören werden zu funktionieren, bleibt der einzelne Totalverweigerer immer isoliert. Er oder sie bleiben ganz einfach Rädchen dieser Gesellschaft, vielleicht Zahnrädchen die nicht ganz sauber laufen oder sogar kaputt sind, aber immer noch Zahnrädchen, immer noch Teil des Ganzen. Nicht das es schlecht wäre nicht zu funktionieren (oft haben wir ja auch keine Wahl, wir müssen auf bestimmte Art und Weise funktionieren um zu überleben), auf keinen Fall, jeder Akt der Verweigerung ist ein Schritt in Richtung individueller Befreiung aber solange es ein isolierter Akt einiger Weniger bleibt, ist er immer in das System integrierbar. Das ist einer der großen Gründe warum die Gesellschaft so scheinbar reibungslos funktionieren kann, solange wir uns nicht zu sehr verweigern, bleiben wir immer Teil des Ganzen und falls wir doch einmal zu sehr über die Stränge schlagen, kommen wir eben in den Knast.

 

Die einzige Möglichkeit aus diesem Kreislauf auszubrechen, die einzigen Aktionen die nicht in das Bestehende integrierbar sind, sind Aktionen die den geregelten Lauf der Dinge stören, Aktionen die die Normalität sabotieren, Aktionen die zerstören. Denn nur wenn Aktionen den Radius unseres Privatlebens verlassen und auch andere Menschen betreffen, also den Alltag durchbrechen (eine verhinderte Fahrkartenkontrolle, eine eingeschmissene Schaufensterscheibe, ein unbrauchbares Bullenauto, eine U-Bahn die nicht fährt…) und den Hass und die Ablehnung gegenüber dieser Gesellschaft für jede und jeden sichtbar machen, gibt es die Möglichkeit, dass sich andere Menschen darin wiedererkennen und sich die Zerstörung ausbreitet. Und in eben dieser Ausweitung der Zerstörung liegt die Chance die Beschissenheit der Dinge in einem generalisiertem Aufstand für immer zu vernichten und Platz für etwas neues entstehen zu lassen.